Die Kirchengemeinde Guben hat sich in einem offenen Brief an Ministerpräsident Woidtke und Landrat Altekrüger gegen den angeordneten Rückbau der Solaranlage auf dem Pfarrhaus in Atterwasch gewandt. Aus Gründen des Denkmalschutzes soll die Solaranlage weichen, während Brandenburg noch immer ein Planverfahren zur Zerstörung des ganzen Dorfes durch den Braunkohletagebau weiterführt. Der Landkreis Spree-Neiße hat unter Androhung eines Zwangsgeldes den Rückbau der Solaranlage bis zum 31. Mai 2016 angeordnet. Dieser Vorgang rief nun auch die Satiresendung „Extra 3“ auf den Plan, die am Mittwochabend in ihrer Rubrik „Der reale Irrsinn“ darüber berichtete.
Im offenen Brief der Gemeinde heißt es: „Dieselben Behörden, die auf Landesebene weiterhin im rückwärtsgewandten Kohlezeitalter verfangen bleiben und den Komplettabriss des Dorfes Atterwasch planen, inklusive aller denkmalgeschützter Bauwerke, sorgen sich, aller Widersprüchlichkeit ihres Handelns zum Trotz, seither intensiv um den pittoresken Anblick des Atterwascher Pfarrhauses.“
Die Entscheidung des Gemeindekirchenrates zum Bau der Anlage sei ganz bewusst im Sinne christlicher Werte für die Erhaltung der Schöpfung getroffen worden. „Jeden Tag fressen sich riesige Kohlebagger durch unsere Lausitz und zerstören über Jahrzehnte hinaus Natur, Zukunft und Perspektiven. Wir wären keine Christen, wenn wir diesem Raubbau an unserer Heimat tatenlos zusehen würden.“
Seit Jahren opfert die brandenburgische Landesregierung die Lebensplanung der Menschen in Atterwasch ihrer Braunkohle-Ideologie, indem sie weiter auf einen Tagebau Jänschwalde-Nord spekuliert. „Schon heute ist erkennbar, dass die planerischen Voraussetzungen für diesen Tagebau nicht erfüllt sind und auch künftig nicht erfüllbar sein werden. Trotzdem belässt man 900 Menschen in den drei betroffenen Orten weiterhin darüber im Unklaren.“
schreibt der Gemeindekirchenrat.
2007 verkündeten die Brandenburgische Landesregierung und der Energiekonzern Vattenfall die Absicht, die Dörfer Grabko, Kerkwitz und Atterwasch für einen neuen Braunkohletagebau Jänschwalde-Nord abreißen zu wollen. Das entsprechende Braunkohlenplanverfahren wurde 2008 eingeleitet. Die Landesregierung weigert sich seither, das Verfahren wieder einzustellen, obwohl die energiepolitische Begründung der Planung bereits seit 2011 nicht mehr nachvollziehbar ist. Mehrere Rechtsgutachten zeigen, dass eine sofortige Einstellung des Planverfahrens möglich ist.
Die Solaranlage auf dem Pfarrhaus in Atterwasch wurde vor 3 Jahren installiert. Der Ökumenische Rat Berlin-Brandenburg hat das Projekt der Solaranlage 2015 mit dem „Ökumenischen Umweltpreis“ ausgezeichnet, der sich insbesondere der Bewahrung der Schöpfung widmet. Die Sendung Extra3 des NDR hat den drohenden Abriss der Anlage am 25. Mai aufgegriffen.
Der offene Brief an Ministerpräsident Woidke und Landrat Altekrüger im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Woidke,
Sehr geehrter Herr Landrat Altekrüger,
der Gemeindekirchenrat der Evangelischen Kirchengemeinde Region Guben betrachtet die energiepolitische Entwicklung in der Lausitz mit größter Sorge. Menschen, die von geplanten Tagebauvorhaben weiterhin bedroht werden, fühlen sich von der Landesregierung und dem Landkreis Spree-Neiße im Stich gelassen. Zugleich wird auf Geheiß der Brandenburger Behörden dafür Sorge getragen, dass eine Solaranlage auf dem Atterwascher Pfarrhaus, die als Zeichen gegen den geplanten Abriss des Dorfes und für die Zukunft der Erneuerbaren Energien errichtet wurde, aus wenig überzeugenden Gründen und unter Androhung eines Zwangsgeldes bis zum 31.5. rückzubauen ist.
Nach dem erklärten Willen der Landesregierung und auf Antrag des Energieunternehmens Vattenfall soll an der Förderung und Verstromung von Braunkohle im Land Brandenburg über die nächsten Jahrzehnte hinweg festgehalten werden. Mit dieser Absicht stellte Vattenfall den Antrag, das Tagebaufeld Jänschwalde-Nord auskohlen zu dürfen. Dafür müssen in naher Zukunft die Ortslagen Kerkwitz, Atterwasch und Grabko mit zusammen rund 900 Einwohnern zwangsweise umgesiedelt, hunderte Bauerngehöfte und Wohnhäuser abgerissen, umliegende Wälder, Wiesen und Felder unwiederbringlich zerstört sowie wertvolle Naturgebiete vernichtet werden.
Nach der Auskohlung, etwa Mitte diesen Jahrhunderts, werden aus dem Tagebaufeld Jänschwalde-Nord rund 200 Millionen Tonnen Rohbraunkohle gefördert worden sein, von denen rund zwei Drittel in einem thermischen Braunkohlekraftwerk mit systembedingt niedrigem Wirkungsgrad nutzlos verbrannt werden, um aus dem übrigen Drittel Strom zu erzeugen, für den, mit Blick auf das überbordende Stromangebot im deutschen/europäischen Energienetz, schon heute keinerlei Bedarf besteht und unter dem fortschreitenden Ausbau erneuerbarer Energieträger künftig nicht bestehen wird. Dem gegenüber steht die Verschmutzung der Atmosphäre mit rund 200 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die allein aus der Nutzung des Tagebaufeldes Jänschwalde-Nord entstehen werden.
Das Land Brandenburg hat die Planung des Tagebaufeldes Jänschwalde-Nord stets mit dem Bau eines neuen Braunkohlekraftwerks am Standort Jänschwalde begründet. Dieses Kraftwerk ist bis zum heutigen Tag jedoch weder im Bau, noch wurde ein Bauvorhaben beantragt, noch gibt es irgendeine
Planung dazu, die eine künftige Bauabsicht erkennen lässt, im Gegenteil. Das Energieunternehmen Vattenfall möchte sich weitgehend aus dem Braunkohlegeschäft zurückziehen, um einem tschechischen Unternehmen als Nachfolger die Landschaftszerstörung seiner rund 15-jährigen Tätigkeit in der Lausitz zu überlassen. Und selbst wenn Vattenfalls Nachfolgeunternehmen ein neues Kohlekraftwerk am Standort Jänschwalde errichten würde, müsste dieses rund 40-50 Jahre in Betrieb bleiben, um die Investitionskosten im Milliardenbetrag zu amortisieren. Dazu müsste im Anschluss an den nach 25 Jahren ausgekohlten Tagebau Jänschwalde-Nord ein weiterer aufgeschlossen werden, der bis in die 2070iger – 2080iger Jahre die Versorgung des neuen Kraftwerks übernimmt.
Bis 2050 wird die Bundesrepublik Deutschland jedoch auf Grundlage eines nationalen Klimaplanes und aus dem zu befürchtenden Anlass weiterer extremer Klimaveränderungen nahezu völlig auf klimaneutrale Energieversorgung umgestiegen sein. Die Planungen zum Tagebau Jänschwalde-Nord,
einschließlich des Neubaukraftwerks Jänschwalde, stehen somit schon heute dem Vorhaben der Bundesrepublik, auf weitestgehend Erneuerbare Energieversorgung umzustellen, diametral entgegen. Doch statt den eklatanten Widerspruch in der Planung dieses Braunkohlevorhabens zu erkennen und einen Strukturwandel in der Lausitz einzuleiten, der dem längst prophezeiten und weltweit vorangetriebenen Ende des Kohlezeitalters entspricht, hält die Brandenburger Landesregierung unbeirrt an der Braunkohlenverstromung und der Tagebauplanung zum Abbaufeld Jänschwalde-Nord fest.
Für den Gemeindekirchenrat der Evangelischen Kirchengemeinde Region Guben steht außer Frage, dass eine Landesregierung langfristige Entscheidungen im Sinne der Daseinsvorsorge zu treffen hat und auch muss. Im Falle eines Braunkohlevorhabens, für das Ortschaften beansprucht werden sollen, hat die Landesregierung aus unserer Sicht jedoch zuallererst die Pflicht, die Belastung der Betroffenen auf ein Minimum zu reduzieren, denn hier geht es um Menschen! Um ihre Zukunft! Um ihre Lebensplanung! – Im Falle des Tagebauvorhabens Jänschwalde-Nord sehen wir diese Erste Pflicht der Landesregierung bereits massiv verletzt, denn schon heute ist erkennbar, dass die planerischen Voraussetzungen für diesen Tagebau nicht erfüllt sind und auch künftig nicht erfüllbar sein werden. Trotzdem belässt man 900 Menschen in den drei betroffenen Orten weiterhin darüber im Unklaren.
Die Alternative wäre, die bereits zur Marktreife geführte Power-to-Gas-Technologie massiv im Land Brandenburg zu fördern und zu unterstützen, um dem zur Zeit noch bestehenden Mangel an Speichermöglichkeiten für überschüssigen Wind- und Sonnenstrom in naher Zukunft begegnen zu können. Die Power-to-Gas-Technologie kann dabei ohne Probleme auf die bereits bestehende Infrastruktur des deutschen Erdgasnetzes und deren Speichermöglichkeiten zurückgreifen, die obendrein die Abhängigkeit vom russischen Erdgas beenden und viele Arbeitsplätze schaffen würde.
Solange jedoch bestehende Braunkohlekraftwerke am Netz verbleiben, die aus thermischer Trägheit technologisch nicht in der Lage sind, sich der täglichen Fluktuation der Erneuerbaren Energien anzupassen und daher auch dann weiterlaufen müssen, wenn im deutschen/europäischen Netz bereits genügend Strom vorhanden ist, etwa regelmäßig zu den Mittagszeiten, solange werden die Strompreise auf dem deutschen/europäischen Energiemarkt unter der massiven Flut von bedarflos anfallenden Braunkohlenstrom extrem niedrig bleiben. Mit der Folge, dass die EEG-Umlage weiter ansteigen wird und, was weit schlimmer wiegt, sich Investitionen in moderne Speichertechnologien wie Power-to-Gas schlichtweg für keinen Investor der Welt lohnen.
Wenn die Brandenburger Landesregierung etwas für die Versorgungssicherheit und gegen den immer wieder erneut beklagten Mangel an großtechnischen Speichermöglichkeiten für Wind- und Sonnenenergie tun möchte, dann wäre es aus unserer Sicht dringend erforderlich, der Nutzung der Braunkohle ein mittelfristiges Ende zu setzen. Erst wenn die Erzeuger-Strompreise wieder ansteigen, werden sich teure Investitionen in Speichertechnologien überhaupt lohnen. Solange aber dem billigen und im Überfluss anfallenden Braunkohlenstrom ungeachtet seiner massiven Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschädlichkeit weiterhin der rote Planungs-Teppich im Land Brandenburg ausgerollt wird, solange wird sich jeder brandenburgische Wirtschaftsminister bis zum Sankt-Nimmerleinstag über den Mangel an ausgebauter elektrischer Speicher- und Leitungsinfrastruktur beschweren können. Dass mit der Förderung des Kohlestroms aber auch auf extreme Weise in die Lebensplanung hunderter Menschen eingegriffen wird, sollte dabei eigentlich jedem verantwortungsvollen Landespolitiker die allergrößte Sorge bereiten.
Statt aber das Tagebauvorhaben Jänschwalde-Nord unter all den Gründen, die dagegensprechen, endlich zu beenden, um 900 Menschen wieder eine Perspektive für ein Leben in der Lausitz zu schenken, fühlen sich Brandenburger Behörden offenbar weniger den Menschen in dem geplanten Tagebaufeld verpflichtet, dafür umso dringlicher der optischen Ansicht denkmalgeschützter Gebäude. Denn dieselben Behörden, die auf Landesebene weiterhin im rückwärtsgewandten Kohlezeitalter verfangen bleiben und den Komplettabriss des Dorfes Atterwasch planen, inklusive aller denkmalgeschützter Bauwerke, sorgen sich, aller Widersprüchlichkeit ihres Handelns zum Trotz, seither intensiv um den pittoresken Anblick des Atterwascher Pfarrhauses.
Das 2013 von der Kirchgemeinde zur Erhaltung des Gebäudes erneuerte Dach des Pfarrhauses wurde nämlich mit einer Photovoltaik-Anlage ausgerüstet. Diese Anlage sollte künftig nicht nur der Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen dienen, sie sollte ganz im Sinne der errichtenden Kirchgemeinde zuallererst ein Zeichen gegen die ausschließlich energiepolitisch begründete Zerstörung des Ortes Atterwasch darstellen. Die Entscheidung des Gemeindekirchenrates zum Bau dieser Anlage, für die trotz vieler Gespräche keine Baugenehmigung seitens der Brandenburger Behörden ausgesprochen wurde, war ganz bewusst im Sinne christlicher Werte für die Erhaltung der Schöpfung getroffen worden. Jeden Tag fressen sich riesige Kohlebagger durch unsere Lausitz und zerstören über Jahrzehnte hinaus Natur, Zukunft und Perspektiven. Wir wären keine Christen, wenn wir diesem Raubbau an unserer Heimat tatenlos zusehen würden.
Umso merkwürdiger und umso unverständlicher wirkt dagegen der Standpunkt der Behörden, dass man sich in der Zwangslage, in der sich der Ort Atterwasch und seine Menschen seit der Androhung des Tagebaufeldes Jänschwalde-Nord befinden, allein um den optischen Anblick des Pfarrhauses Sorgen macht. Der Gemeindekirchenrat der Evangelischen Kirchengemeinde Region Guben würde es sehr begrüßen, wenn sich die Behörden zuallererst um das Wohlergehen der von Zukunftsängsten geplagten Menschen in Atterwasch und um den Klimaschutz sorgen würden, statt um die rein geschmäcklerische Entscheidung, ob ein Dach mit oder ohne Photovoltaikanlage schlechter oder doch sehr viel besser aussieht, weil sinnvoll genutzt, im Sinne der Nachhaltigkeit und der Bewahrung der Schöpfung. Der Gemeindekirchenrat hatte den Behörden schließlich den Kompromiss vorgeschlagen, zumindest solange die Solaranlage auf dem Pfarrhaus Atterwasch betreiben zu dürfen, solange das Planverfahren zum Tagebaufeld Jänschwalde-Nord weitergeführt wird. Die Behörden sahen sich jedoch außer Stande, auf diesen Vorschlag einzugehen. Dabei erheben dieselben Behörden, im selben Landkreis, durchaus nicht immer Einspruch gegen die optische Veränderung denkmalgeschützter Gebäude. Nur 12km entfernt, auf dem denkmalgeschützen Gebäude des Wasserwerkes Grießen, finden sich bis heute, wie in Atterwasch auf ziegelrotem Dach, Solarpaneelen. Hier schauen sogar die metallenen Enden der Unterkonstruktion unschön hervor, wobei das Dach nahezu komplett unter der Photovoltaikanlage verschwindet. In Atterwasch ist weder die Unterkonstruktion sichtbar, noch wurde das Dach komplett beansprucht. Trotzdem scheint es, dass dieselben Behörden in zwei ähnlich gelagerten Fällen mit zweierlei Maß messen, um dabei den angedrohten Totalverlust der Ortslage Atterwasch vollkommen zu ignorieren, der den Abriss des gesamten Pfarrhauses bedeutet.
Aus Sicht des Gemeindekirchenrates der Evangelischen Kirchengemeinde Region Guben entspricht diese starre Haltung seitens der Behörden weder der gebotenen Sorgfaltspflicht, noch dem angemessenen Entgegenkommen in existenziellen Notlagen, in der sich die Atterwascher Menschen befinden. Welche Gründe auch immer dafür verantwortlich sind, warum weiterhin am Tagebaufeld Jänschwalde-Nord festgehalten wird oder warum Brandenburger Behörden ausgerechnet im Fall des Atterwascher Pfarrhauses jedweden Ermessenspielraum ungenutzt lassen – Wir finden, es ist falsch! Sie dienen damit weder dem Land, noch seinen Menschen. Sie erzeugen lediglich Politikverdrossenheit und Resignation. Sie vergrößern die Kluft zwischen denen “da oben“ und denen, die sich immer häufiger die Frage stellen, wem eigentlich Politik und Verwaltung des Landes in erster Linie zu dienen haben.
In diesem Sinne hoffen wir sehr, dass Sie Ihre Entscheidungen nochmals überdenken.
Hochachtungsvoll,
für den Gemeindekirchenrat Evangelische Kirchengemeinde Region Guben
Martin Pehle
GKR-Vorsitzender
pm/red
Foto: Wikipedia, CC BY-SA 3.0, Urheber: Lutki