Ingrid Ebert aus Forst, Mitglied der Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Forst, schildert ihre Erlebnisse beim Umgang von Ämtern mit Asylanträgen aus Glaubensgründen in einem offenen Brief an die Entscheidungsträger der BAMF Aussenstelle in Eisenhüttenstadt:
„Vor drei Jahren begegneten wir uns zum ersten Mal – im Ostdeutschen Rosengarten Forst, wo ein ökumenischer Gottesdienst stattgefunden hatte. Die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Eisenhüttenstadt hatte uns schon mitgeteilt, dass iranische Flüchtlinge aus dem Heim in Eisenhüttenstadt nach Forst umgesetzt worden sind. Es handele sich um Menschen, die auf Grund ihrer Glaubensentscheidung ihre Heimat verlassen mussten, hieß es. Wir haben sie in unsere Gemeinde eingeladen. Der ersten Begegnung folgten viele. Wir lernten einander immer besser kennen. Zuerst haben wir auf Grund der fehlenden Sprachkenntnisse nicht viel miteinander reden können, aber miteinander Gemeinschaft haben und Zeichen der Verbundenheit setzen, das konnten wir.
Wer sich für Flüchtlinge einsetzt, weiß, wieviel Zeit und Kraft es braucht, damit sich Menschen aus anderen Kulturen integrieren können, damit sie es lernen, sich zu verständigen, damit sie klar kommen im Alltag. Wer Asylbewerber bei Behördengängen begleitet, wer ihnen hilft, Formulare in (selbst für Deutsche) schwer verständlicher Amtssprache auszufüllen, weiß um die Mühen. Wer sich für andere einsetzt, damit sie menschenwürdig wohnen können, damit sie für ihre Kinder einen Kindergartenplatz bekommen, damit sie an Sprachkursen und Praktika teilnehmen können, weiß, was an einem solchen Engagement hängt. Wir haben in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Forst diese Mühen gern auf uns genommen, auch, weil wir beeindruckt waren von der unerschütterlichen Glaubenshaltung unserer neuen Glaubensgeschwister. Von Anfang an kamen Hossein Nankali, seine Frau Niloufar und seine Schwägerin Samineh zu unseren Gottesdiensten und anderen gemeindlichen Veranstaltungen. Sie wollten sich taufen lassen, weil sie in ihrer Heimat keine christliche Kirche aus Sicherheitsbedenken heraus taufen und aufnehmen wollte. Denn sie waren vom Islam zum Christentum konvertiert. Die Taufe als sichtbaren Akt des Glaubensgehorsams und des Neuanfangs mit Christus war ihnen trotz der damit verbundenen Gefahren sehr wichtig. Ihrem Wunsch nach Taufe wurde nicht unmittelbar entsprochen. Wir meinten, sie sollten erst noch mehr über den christlichen Glauben und über das Leben in einer christlichen Gemeinde erfahren. Und so nahmen sie an Glaubenskursen teil und an Bibelgesprächen. Am 19.7.2015 feierten wir dann endlich ihre Taufe. Es war ein Freudenfest. Tage davor hatte uns Hossein davon erzählt, wie es dazu gekommen war, dass er Christ geworden ist. Mitunter versagte ihm die Stimme, weil er erneut so ergriffen war. Auch wir waren ergriffen von seinem Glaubensbekenntnis. Ein Taufspruch dieses Tages war der Satz aus dem Brief an die Gemeinde in Ephesus: „So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“
Ja, unsere iranischen Glaubensgeschwister sind keine Fremdlinge mehr. Sie sind Hausgenossen. Sie haben alles im Iran zurückgelassen – ihre Großfamilie, ihre Arbeitswelt, Haus, Geld und Freundschaften – alles, nur um ihren Glauben leben zu können. Ich frage mich manchmal, ob mein Glaube so stark, so echt ist, dass ich alles dafür aufgeben könnte. Die unerschütterliche Haltung der Iraner hat unserer kleinen, schwachen Gemeinschaft neuen Aufschwung verliehen. Um mehr über verfolgte Christen in der Welt zu erfahren, haben wir als Gemeinde Open Doors eingeladen. Wir Christen leben in Deutschland derart unbehelligt, dass man sich echte Verfolgung nur schwer vorstellen kann. Es wird auch wenig in den Medien darüber berichtet, obwohl wir uns gern als christliches Abendland bezeichnen.
Unsere neuen Freunde haben alles getan, um sich gut zu integrieren, haben Sprachkurse absolviert, an Praktika teilgenommen, bei Projekten mitgemacht, Gottesdienste mitgestaltet. Je besser ihre Deutschkenntnisse waren, desto mehr erfuhren wir von ihrem Leben und ihrem Glauben. Wir haben mitgebangt, als Niloufar lebensbedrohlich erkrankte, haben gemeinsam gebetet und ihre Heilung als etwas Wunderbares erlebt. Die Asylbewerber wollten endlich weg von den Sozialleistungen, wollten arbeiten, dem Land etwas zurückgeben, dafür, dass sie hier Zuflucht gefunden haben.
Die Ablehnung des Asylantrages, drei Jahre nach gelungener Flucht, kam völlig unerwartet und für mich nicht nachvollziehbar. Ich habe mir die 24 Seiten Begründung der Ablehnung durchgelesen. Manches hört sich durchdacht und vernünftig an, wenn man mit den Augen eines Menschen liest, der nicht weiß, was Glauben eigentlich heißt.
In der Begründung steht u.a., man habe den Eindruck, die Antragsteller hätten sich aus asyltechnischen Gründen zu einem Religionswechsel entschieden, ohne ernsthaften Willen und Überzeugung. Asyltechnische Gründe? Sie haben alles verloren, was sie hatten. Um des Glaubens Willen. Die Antragsteller seien wenig informiert über ihren neu gewonnenen Glauben. In der Ablehnung heißt es weiter: „So kann erwartet werden, dass ihnen doch zumindest die Grundlagen ihres neuen Glaubens dem Christentum und der von ihnen – zumindest den Taufbescheinigungen nach zu urteilen – gewählten evangelischen Konfession in Abgrenzung zu anderen Konfessionen des Christentums bekannt sind.“
Als ich mich 16jährig für ein Leben mit Christus entschied und mich taufen ließ, hätte ich auch nicht sagen können, was Konfessionen unterscheidet oder was Mennoniten und Brüdergemeine und Adventisten und Orthodoxe unterscheidet. Ich wusste als Kind der DDR nicht viel über Religion, ich bin in einem atheistischen Umfeld groß geworden. Christen, die ihren Glauben lebten, wurden benachteiligt. Ich wusste, dass ich mein Leben als Christ leben will, weil ich den lebendigen Christus erfahren habe. Glauben hat vor allem mit Vertrauen zu tun und mit Entscheidungen. Ob jemand glaubt oder nicht glaubt, kann nicht mit einem Wissenstest geklärt werden. In unserer Gemeinde, der EFG Forst, kommen Menschen zusammen, die als Christen leben wollen, die Glauben praktizieren. Ich bin einst Christ geworden, weil ich etwas erlebt habe und nicht, weil ich etwas gelernt habe. Ich bin Mitglied der EFG Forst geworden, weil ich hier einen angstfreien Raum gefunden habe, in dem ich sein konnte, wie ich bin, sagen konnte, was ich dachte, weil ich hier Menschen gefunden hatte, die mit mir eines Weges waren.
Das Gespräch in der Behörde hat drei Stunden gedauert. Dem gegenüber stehen drei Jahre Erfahrung mit den Flüchtlingen. Glauben kann man nicht erklären, so wie man Liebe nicht erklären kann, nur erfahren. Vielleicht gibt es Menschen, die vorgeben, die Religion gewechselt zu haben, um sich Vorteile zu verschaffen. Ganz sicher lernen solche Menschen vorher viel über Religion und sind bestens auf die Befragungen im Amt vorbereitet. Unsere iranischen Glaubensgeschwister kommen seit nunmehr drei Jahren treu zu den Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen. Sie bringen sich ein, gestalten das Gemeindeleben mit, praktizieren Nächstenliebe, sind aufmerksam und hilfsbereit.
„Ein ernsthaftes Engagement für die neue Religion konnten sie nicht glaubhaft machen“, heißt es in der Ablehnung. Was meinen denn die Mitarbeiter in den Behörden, wie man Glauben glaubhaft macht? Ich wünschte mir, dass viele deutsche Christen sich so ernsthaft engagierten, wie unsere Glaubensgeschwister aus dem Iran. Wenn christlicher Glaube erstarrt in Regeln, in Liturgien, in auswendig gelernten Bekenntnissen, dann stirbt er. Als Paulus Christ wurde, was wusste er von den Christen, die er doch verfolgte? Und doch ist er zu dem Mann geworden, der das Christentum nach Europa brachte.
Noch ein Ausschnitt aus dem Ablehnungsbescheid, der mir Ohrensausen verursacht, weil er mich in unangenehmer Weise an DDR und Staatssicherheit und an den Jargon in meinen Stasi-Akten erinnert: „Es ist auch gerichtsbekannt, dass die evangelisch-freikirchlichen Gemeinden ein Treffpunkt iranischer Asylbewerber sind, der durch Mund-zu-Mund-Propaganda anderen iranischen Asylbewerbern mitgeteilt wird. Es liegt nahe, dass iranische Asylbewerber sich im Rahmen der hier stattfindenden Treffen, miteinander auch über ihre Situation und eventuell erfolgversprechende Möglichkeiten, einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu erhalten, besprechen.“
Zu unserer Gemeinde gehören rund zehn ausländische Christen. Sie treffen sich hier nicht, sie gehören zu unserer Gemeinde und das seit Jahren. Wenn es sich mehr und mehr auch unter deutschen Bewohnern der Stadt herumspräche, dass es gut ist, zu uns zu gehören, nur zu.
Bevor man über unsere Gemeinde urteilt und über unser Leben als Christ in der Gesellschaft, sollte man sich mit eigenen Augen und Ohren ein Bild verschaffen. Wir treffen uns nicht heimlich. Jeder ist willkommen, auch Menschen, die in Ämtern sitzen und Entscheidungen treffen müssen, Entscheidungen, die weitreichende Auswirkungen haben.
Ich weiß, es ist für Deutsche schwer zu verstehen, dass Menschen um ihres Glaubenswillen verfolgt werden, aber es ist eine Tatsache. Nach einer neuen Einschätzung von Open Doors leiden mehr als 200 Millionen Christen weltweit unter einem hohen Maß an Verfolgung. Im Iran besonders betroffen sind ehemalige Muslime, die sich zu Jesus Christus bekehrt haben.
Ich werde mich – soweit ich kann – jedenfalls schützend vor meine Glaubensgeschwister stellen. Sie in den Iran zurückzuschicken, hieße, sie wissentlich Gefahren preiszugeben.“