Das heutige Monatsbild ist ein ganz besonderer Schatz und zugleich ein Rätsel.
Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir es heute auch als Suchaufruf und als Bitte um Mithilfe: Nicht nur wurde vor wenigen Tagen der sanierte Kegeldamm – einst einfach der Neißedamm genannt – eingeweiht, sondern erstmals gab es auch Hinweise auf frühere Verwendungen dieses mysteriösen Bildes.
Aber der Reihe nach:
Das heutige Monatsbild ist ein ganz besonderer Schatz und zugleich ein Rätsel. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir es heute auch als Suchaufruf und als Bitte um Mithilfe: Nicht nur wurde vor wenigen Tagen der sanierte Kegeldamm – einst einfach der Neißedamm genannt – eingeweiht, sondern erstmals gab es auch Hinweise auf frühere Verwendungen dieses mysteriösen Bildes. Aber der Reihe nach:
Die Vorlage zu unserem Monatsbild ist eine postkartengroße Schwarzweiß-Fotoreproduktion, die irgendwann auf unbekanntem Wege ins Stadtarchiv gelangte. Möglicherweise gehört sie zu der kleinen Anzahl weiterer Fotos, die aus den Sammlungen des aufgelösten Betriebsarchivs des VEB Forster Tuchfabriken 1992 ins Stadtarchiv übernommen wurden. Ebenso unbekannt ist das Kunstwerk, das ursprünglich als Vorlage diente: Zwar ist eine Kopie schon einmal 1994 in der Reihe „Aus der Heimat“ des Forster uk-Verlages als Titelbild verwendet worden. Auf Nachfragen in den vergangenen Jahren aber konnte niemand über Identität oder gar Verbleib des Bildes Auskunft geben. Weder eine Künstlersignatur noch Datierung noch ein Bildtitel sind überliefert. Die Fotoqualität ist nicht allzu gut; vielleicht haben wir bereits nur noch ein Foto von einem Foto vor uns. Dieses lässt nicht einmal mit Gewissheit eine Aussage darüber zu, ob es sich bei dem Originalkunstwerk um ein Gemälde, eine Zeichnung oder eine Grafik gehandelt hat. Der Abzug trägt auf der Rückseite lediglich einen Fotografenstempel, der den Abzug als DDR-zeitliche Repro ausweist (Foto Michael, 757 Forst, Str. d. Friedens 46 [= Cottbuser Str.], Reg.-Nr. I/5/307), sowie einen jüngeren handschriftlichen Archivtitel: „Forst alte Ansicht“.
Augenscheinlich handelt es sich tatsächlich um Forst: Man erkennt im Hintergrund deutlich die Stadtkirche St. Nikolai mit ihrer typischen Turmhaube, davor aufragend das neue Rathaus von 1789 und links am Stadtrand die große alte Forster Burg (das sog. „Kornhaus“). Die großen Gebäude auf der rechten Seite dürften die Stadtmühle und – an den Pappeln – das Stadtschloss mit seinen Nebengebäuden zeigen (v.l.n.r.), in dem im 18. Jahrhundert die merseburgische Herzogswitwe Luise Elisabeth residierte und ab 1744 eine Tuchmanufaktur untergebracht war.
In unserem Junibild haben wir das Stadtschloss einige Jahrzehnte später gezeigt, von einem Betrachterstandort weiter nördlich aus gesehen, nach dem Schlossbrand von 1839 mit Flachdach und nun von Fabrikgebäuden und Schornsteinen umgeben. Unser Künstler hatte dagegen ungefähr den gleichen Standort eingenommen wie schon der Zeichner der ersten bekannten Stadtansicht von 1776 (siehe Beitrag http://750forst.wordpress.com/wie-alt-ist-forst/ “Wie alt ist Forst“).
Das Paar im Vordergrund mögen wandernde Händler oder vielleicht Dorfbewohner auf dem Weg zum Markt sein, jedenfalls handelt es sich um Angehörige der unteren Schichten. Schon ihre Kleidung lässt vermuten, dass das Bild im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Dazu passt auch, dass das Schloss noch das große Walmdach aus der Zeit vor dem Brand 1839 trägt und dass noch kein Fabrikschornstein die städtische Silhouette schmückt (die erste Dampfmaschine wurde 1844 in Forst aufgestellt).
Was jedoch so gar nicht ins Bild passen will, ist das Segelboot – genauer gesagt wohl ein Lastkahn mit Segel – und die für Forster Verhältnisse erstaunlich breite Neiße. Eigentlich gilt und galt die Neiße erst ab Guben als schiffbar.
Vor einigen Tagen nun hat uns Frank Henschel, Forster Kirchbauverein/Geschichtsstammtisch, darauf hingewiesen, dass das Bild bereits 1928 schon einmal abgedruckt worden ist, nur: ohne Boot!
Damals erschien es in einer Veröffentlichung der IHK Cottbus zu Jubiläumsfirmen in ihrem Bezirk, und zwar in einem vom Forster Magistratsbeamten Dr. Walter Schlabing verfassten Beitrag zu Forst, leider auch hier ohne Angabe des Künstlers oder des damaligen Besitzers. Soweit die Druckqualität eine Aussage zulässt, scheint das Boot in jener Veröffentlichung wegretuschiert worden zu sein. Und noch etwas fällt auf: Am Westufer ist links deutlicher als auf unserem Archiv-Foto ein weiteres Paar zu erkennen, in feinerer, bürgerlicher Kleidung (Zylinder als Kopfbedeckung, der erst nach 1820 zum „Markenzeichen“ von Bürgerlichkeit schlechthin wurde). Dieses Paar geht augenscheinlich nicht wie die Personen im Vordergrund seinem Broterwerb nach, sondern pflegt das damals neue Hobby des Bürgers, den Spaziergang.
Abb. aus Handelskammer Cottbus (Hg.): Jubiläumsfirmen im IHK-Bezirk Cottbus (1928), S. 22.- Vorlage u. Bild: Slg. Frank Henschel, Forst (Lausitz)
Ohne Boot und mit dem Spaziergängerpaar dürfte vielen Lesern, die sich schon einmal mit Forster Stadtansichten beschäftigt haben, gleich ein anderes, viel bekannteres Bild einfallen: Die Blick auf Forst von der Neiße von Gustav Brauer aus dem Jahre 1845.
Gustav Brauer: Forst, von Südosten gesehen, Zeichnung von 1845, hier aus der Repro.-Edition des Forster Zeitungs-Verlages E. Hoene, 1925.- Bild: Stadtarchiv
Auch hier ein flanierendes Pärchen, der Mann mit Zylinder. Und weitere Details und der Bildaufbau insgesamt weisen eine frappierende Ähnlichkeit zu unserem „Rätselbild“ auf: das ganze Erscheinungsbild der Stadt, mit Kirche, Rathaus und Kornhaus; die heckenartige Begrenzung der südlichen Bebauungsgrenze (der sog. Haag, daher die heutige Straße „Am Haag“; Haag = eingehegtes Gelände); zwischen dem Haag und den Spaziergängern eine Art Wiese, auf der beidesmal Tücher zum Trocknen oder zur Bleiche aufgehängt sind; schließlich die Ähnlichkeit der Vegetation jeweils am Westufer und am Damm. Nun war Brauer kein besonders talentierter Zeichner, dafür um mehr Eindeutigkeit (jeder Baum hübsch einzeln eingezeichnet …) und um Realismus bemüht: Denn, natürlich gab es keine Segelboote auf der Neiße, dafür bis zur Flussregulierung aber jede Menge Sandbänke und Inselchen! Wie noch diese Ansicht von 1927 zeigt, mit demselben Flussabschnitt, nur aus entgegengesetzter Blickrichtung:
Die Neiße vor den Flussregulierungsarbeiten der 1930er Jahre, Höhe Sorauer Straße mit Blick nach Südosten, aus: Gründer/Stein (Hg.): Forst (1927), S. 57.- Bild: Stadtarchiv
Fazit: Es liegt die Vermutung nahe, dass Brauer das Werk unseres unbekannten Künstlers gekannt hat und es – als Ausschnitt – in seiner Zeichnung festgehalten hat. Gleichsam Kronzeuge für diese Vermutung ist jenes flanierende Pärchen, das sich auf beiden Bildern so ziemlich an derselben Stelle befindet. Während der Künstler unseres Monatsbildes, ob in romantisierender Absicht oder im Bemühen um Bewerbung von Forst als zeitgenössisch modernes Logistikzentrum, ein malerisches Flussschiff ins Bild hinein setzte, hat Brauer uns trotz seiner naiven Darstellungsweise doch ein realistischeres Gesamtbild der Szenerie überliefert. Vielleicht war dies auch der Grund dafür, dass die IHK-Version von 1928 auf das Segelschiff verzichtete, wenn nicht schon unser unbekannter Künstler aus ähnlichen Gründen eine zweite Fassung unseres Monats- und Rätselbildes– ohne Boot – angefertigt hat.
Das Bild von 1845 – unser Rätselbild als Vorlage wird dementsprechend älter gewesen sein – gehört zu einer ganzen Bilderserie, die Gustav Brauer(1830-1917) angefertigt hat. Denn eine Leidenschaft dieses Forster Fabrikanten war es gewesen, Stadtansichten zu zeichnen oder zu malen. Viele dieser Zeichnungen sind datiert; Brauer hat sie wohl größtenteils zwischen ca. 1840 und 1870 angefertigt. Ölgemälde von ihm sollen Forster Bürgerhäuser geziert und von seiner Kunstfertigkeit Zeugnis abgelegt haben. Während die Entstehung seiner Bilderserie und die Frage nach etwaigen Vorlagen nie näher unter die Lupe genommen wurden, erfreuen sich die Brauer´schen Zeichnungen bis heute anhaltender Beliebtheit. In zahlreichen stadtgeschichtlichen Arbeiten wurden sie veröffentlicht. Schon 1925 wurden zehn Stück von ihnen vom Verlag E. Hoene (Forster Tageblatt) als Reprint-Edition veröffentlicht, darunter die hier gezeigte Neiße-Partie, nach 1990 gab es erneute Nachdrucke. Diese Editionen gehören nach den vielen Verlusten an Forster Kulturgut von 1945 heute zu den wenigen erhaltenen Bildzeugnissen, die die Stadt am Übergang zur Industrialisierung zeigen. Daher haben sie großen historischen Quellenwert, müssen aber dementsprechend auch quellenkritisch genau unter die Lupe genommen werden.
Wenn die hier angestellten Überlegungen zutreffen, stößt unser Monatsbild ein Fenster auf, um die Entstehung der Brauer´schen Bilder näher zu beleuchten und um dem Schicksal verschollenen Kulturguts aus unserer Stadt nachzuspüren.
Damit kommen wir zu dem angekündigten Suchaufruf:
Wer kann Auskunft geben über Künstler, Entstehung oder Verbleib unseres Monatsbildes?
Oder war am Ende alles ganz anders?: Hatte der Verlag E. Hoene 1925 schlechte Nachzeichnungen als Werk des acht Jahre zuvor in hohem Alter verstorbenen Hobbykünstlers verkauft, während der „echte“ Brauer viel talentierter war und am Ende gar der Urheber unseres Monatsbildes gewesen ist? Zeigt also unser Monats- und Rätselbild eines jener verschollenen Ölgemälde von Gustav Brauer?
Gab oder gibt es womöglich noch dieses oder ähnliche Bilder irgendwo in Privatbesitz, oder persönliche Erinnerungen oder Aufzeichnungen über ihren Verbleib?
Hinweise nimmt das Stadtarchiv gern entgegen.
Schließlich erneut ein herzliches Dankeschön an Frank Henschel, für den Hinweis auf die Abbildung von 1928 und für die intensive Diskussion, die sich aus dieser Entdeckung ergab und Anlass zu dem vorstehenden Beitrag bot!
Quelle: Stadtarchiv Forst (Lausitz)/Klußmann