Im vergangenen Sommer waren in Deutschland erstmals die Vorboten des Klimawandels deutlich zu spüren. Der Handlungsbedarf wird dringlicher und die Diskussion um einen vorzeitigen Kohleausstieg wird seit Monaten kontrovers geführt. Es hängt viel an der Kohle: Nicht nur die Frage der Stromversorgung oder Profitinteressen der Konzerne, sondern insbesondere auch für die Menschen in den Kohleregionen. Daher wurde die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, meist Kohlekommission genannt, ins Leben gerufen, die vor Kurzem ihren Vorschlag, bis spätestens 2038 aus der Kohleförderung und -verstromung auszusteigen, vorgelegt hat. Der Kohleausstieg wird keine leichte Aufgabe und es braucht Lösungen für die Zukunft, die für alle gut sind. Anita Habel von der Initiative “BGE statt Braunkohle” hat mit einem Kohlemitarbeiter aus der Lausitz, der im Tagebau Nochten tätig ist, (Ende Zwanzig, möchte anonym bleiben) darüber gesprochen.
Wie ist aus deiner Sicht oder auch der deiner Kollegen die aktuelle Situation der Braunkohlemitarbeiter?
Das ist ja nicht erst seit heute so, das zieht sich ja seit 2014. Gerade bei den Jüngeren, da ist das eigentlich jede Woche Thema bei der Arbeit. Wir sind viele Ende 20 und da geht’s dann um den Plan für´s Leben – Familienplanung, Haus bauen und so weiter. Das steht jetzt alles in den Sternen. Klar könnte ich jetzt anfangen ein Haus zu bauen, aber wenn ich dann den Job nicht mehr habe, dann kann ich hier nicht mehr leben. Das, was ich jetzt verdiene, das gibt es sonst in der Region nirgends, also müsste ich weg. Und für das Haus bekäme ich hier auch nichts mehr, wenn ich es verkaufen müsste. Also, es ist sehr kritisch. Deswegen war ich auch froh um die Kohlekommission. Ich würde hier gerne bleiben und würde mich freuen, wenn meine Kinder mal bleiben. Ich will sie dann ja auch über einen kurzen Weg erreichen, so wie meine Eltern. Aber die Kohle ist hier der Leuchtturm in der Region. Sonst gibt es hier nichts, die Braunkohle hält alles hier. Wie ein Netz, ohne das alles auseinanderfällt. Auch die freiwillige Feuerwehr, auf die wir angewiesen sind, und Sportvereine hängen am Unternehmen. Ohne die Braunkohle gehen die Jungen weg und die Alten sterben irgendwann – dann sterben die Dörfer komplett aus. Es wurde einfach alles auf eine Karte gesetzt und das ist die Kohle. Wenn die wegfällt, weiß keiner mehr weiter. Das ist wie ein schwarzes Loch und da fällt alles rein. Wenn es die Region hier jetzt noch zum zweiten Mal treffen soll, dann fühlt man sich als Region schon wie der Arsch des Landes, nicht gewollt, und wir müssen das alles ausbaden. Das sieht man am Ende auch an den Leuten, die die AFD wählen, die werden durch die Unsicherheiten immer mehr. Das ist nicht gut und nicht richtig.
Was braucht es deiner Meinung nach für einen gelungenen Ausstieg?
Der Ausstieg kommt und muss auch kommen, das ist keine Frage. Dann brauchen wir Industrie hier. Die politischen Gremien müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Wenn ich in meinem Heimatdorf ne Stunde fahren muss, bis ich zur nächsten Autobahn komme oder wir noch heute überhaupt kein flächendeckendes Internet fürs Handy haben – da wird sich keine Industrie ansiedeln. So kannst du den Unternehmen nicht sagen, “siedel dich mal hier an”. Es fehlt an Infrastruktur.
Die Initiative “BGE statt Braunkohle” setzt sich dafür ein, den Braunkohleausstieg mit einem Modellprojekt zum Bedingungslosen Grundeinkommen zu verknüpfen. Was denkst du darüber?
Mit dem Thema hatte ich mich bisher nicht näher beschäftigt, aber erstmal bin ich einfach froh, dass sich jemand Gedanken macht und überhaupt eine konkrete Idee liefert. Ich finde es grundsätzlich eine gute Sache, bin aber auch skeptisch. Es bleiben auch viele Fragen offen: Wer soll es bekommen? Nur Kohlemitarbeiter? Oder alle? Wie geht man mit Zugezogenen um?
Anita Habel von der Initiative “BGE statt Braunkohle”: Wir sind auf jeden Fall dafür, dass es alle innerhalb einer festgelegten Region bekommen sollen und nicht nur (Ex-)Braunkohlemitarbeiter. Aber ja, das sind Fragen, die es dann zu klären gilt, auch mit Zugezogenen. Wir können nicht alles vorhersagen und in gewisser Weise bleibt die Dynamik unklar. Es gab aber schon Experimente und was wir daraus wissen ist, dass die Effekte positiv sind und die Menschen dann auch weiter arbeiten.