Mit ihrem diesjährigen Theaterspektakel widmet sich die NEUE BÜHNE in Senftenberg dem Dramatiker Bertolt Brecht, der vielen fälschlicherweise als „DDR – Autor“ ein Begriff ist und das, obwohl er fast alle seine Stücke schon bis 1945 schrieb. Also eine gute Gelegenheit nach 40 Jahren DDR und 25 Jahren deutscher Einheit, sich wieder intensiver mit diesem „größten, deutschen Dramatiker des 20. Jahrhunderts“, wie Intendant Manuel Soubeyrand ihn nennt, zu beschäftigen.
Eine gute Gelegenheit auch für jene, die die Arbeitsmigration seit 1990 in die neuen Bundesländer geführt hat, Bertolt Brecht als einen großen gesamtdeutschen Theatermacher zu erkennen oder gar kennenzulernen.
Das Publikum wird auf dem Theatervorplatz mit einem bunten und schrillen Jahrmarkt begrüßt. Schon hier sind Jene klar im Vorteil die zeitig gekommen sind, ihre Karten bereits abgeholt haben und die Gespräche mit den Bekannten kurz halten. Denn an zahlreichen Ständen gibt es Sinnliches zu entdecken, Interessantes zu erfahren und Theatralisches zu erleben über das Leben und Wirken Brechts als Mann, Liebhaber, Spieler, Raucher, Ideengeber, Regisseur, Flüchtling, Autor und Briefeschreiber. Wer hier durch das Warten in der Schlange an Kasse oder Getränkestand zu kurz kommt, sollte die Pausen des Abends intensiv zum Rundgang nutzen. Schauspieler betreiben Werbung für „ihre“ Inszenierungen im 2. Teil, musikalische Einwürfe mit Brechttexten halten fest, Gaukler, Händler und undurchsichtige Gestalten treiben ihr Unwesen und Marlene Hoffmann steppt auf dem Balkon wie Jane Powell zu Zeiten Brechts im Exil in den USA.
Das erste Stück des Abends „Mutter Courage und ihre Kinder“ versammelt das gesamte Publikum im großen Saal. Manuel Soubeyrand inszeniert die Geschichte der Courage als eine zeitlose Parabel über das Leben im und am Rande des Krieges. Dabei verzichtet er auf unnötige Gegenwartsbezüge oder deklamatorische Agitation und gibt dem Zuschauer die Gelegenheit zur persönlichen Assoziation und die Möglichkeit eigene Phantasie wirken zu lassen.
Anita Iselin gibt die Mutter Courage als eine lebendige Frau, die auch ohne lange Nachzudenken fast immer auf jede Frage eine Antwort weiß. Jenen Typ Mensch der mit allen und allem klarzukommen scheint, den sein grenzloser Optimismus scheinbar unzerstörbar werden lässt und hinter dessen Freundlichkeit der knallharte Geschäftssinn steckt. Ihr Egoismus würde einen fast erschlagen, wenn da nicht die drei Kinder wären die sie angenommen hat und nun durch die dunklen Wirren des Krieges zu retteten sucht.
Sebastian Volk als älterer Sohn Eilif spielt die tragische Naivität des gesunden Burschen der auf den Feldwebel als Werber hereinfällt, im Krieg zum Mörder an Zivilisten und in den Zeiten des Friedens für die gleichen Taten hingerichtet wird. Ein freundlicher, etwas rauflustiger Bursche, für den wir heute wohl ein leichtes Lächeln übrig hätten, mutiert in der Armee zum Schlächter und verliert am Ende nicht nur seine eigene Zukunft. Schweizerkas, sein jünger Bruder steht in seiner Gutmütigkeit Eilif nicht nach und muss sein Verantwortungsbewusstsein, seine echte Kameradschaft mit dem Leben bezahlen. Tom Bartels spielt ihn überzeugend in einer leicht hektischen und nervösen Art und Weise, ständig getrieben es seiner Mutter und den anderen recht zu machen, ständig in Sorge um andere, das eigene Wohlergehen vergessend.
Heinz Klevenow als Koch lebt die Figur eines vom Leben und Krieg gezeichneten Mannes, bei dem nur noch Zynismus und der eigene Vorteil eine Rolle spielen. Dies gelingt ihm so eindringlich, dass die Aufforderung des Kochs an die Courage, mit ihm zu kommen und die stumme Kattrin im Stich zulassen, den Zuschauer fast nicht mehr unerwartet trifft. Der Feldprediger (Roland Kurzweg) prägt sich als feige, unangenehme Type ein, der sein Fähnchen nach dem Winde hängt und dabei Untertanengeist und hohle Ideologie in sich vereint. Schon nur in der trockenen Beobachtung der Beerdigung des Feldhauptmanns, offenbart die Figur eindringlich ihren Charakter.
Wolfgang Tegel brilliert gleich in mehreren Rollen und überzeugt durch klare Sprache und eindringliches Körperspiel. Ebenso Johannes May und Alrun Herbig die im Stück in verschiedensten Farben, teils kleine Szene mit großer Eindringlichkeit interpretieren. Marianne Helene Jordan als Yvette spielt diese tragische Figur mit großer Zerrissenheit, welche einerseits mit allen Mittel ihr „Geschäft“ beleben will und andererseits doch die Sehnsucht nach Anerkennung und Geborgenheit, nach einfacher sozialer Sicherheit in sich trägt. Auch wenn am Ende des Krieges ihre Garderobe den scheinbaren Wohlstand verrät, ihr Körper ist gezeichnet für immer, ihre Nerven liegen blank, erschöpft vom ständigen Lügen, den falschen Spielen und den unsäglichen Krankheiten.
Einen besonderen Eindruck aber hinterlässt Marlene Hoffmann in der Rolle der stummen Kattrin. Sie gibt die Rolle mit einer Unaufdringlichkeit die den verletzbaren Charakter der Figur ahnen lässt und gerät damit in dieser Inszenierung zum Symbol für all die Schwachen und Hilflosen für die es im Kriege so gar keinen Platz gibt. Dabei verzichtet sie in der wortlosen Rolle auf übertriebene Gestik oder überzogene Körpersprache, sondern formt in verhaltenem Duktus in den zahlreichen Szenen in denen es sich fast immer um Geschäfte, Macht, Geld und Tod dreht, einen kleinen Raum echter, ehrlicher und kindlicher Angst, die sich doch auch mit naiver Hoffnung paaren kann. Diese Figur der Kattrin prägt sich ein in das Hirn des sensiblen Betrachters, wohl weil erst dieses Spiel den Szenen der ständig streitenden und kämpfenden Protagonisten ihre wahre Farbe gibt. Man kann eben keinen Feldzug, keine Flugverbotszone und auch nur eine Grenzsicherung werten, wenn man nicht auch in die ängstlichen Augen der betroffenen Kinder gesehen hat.
Die Band „Preliminary Injunction“ unter der Leitung von Alexander Suckel sorgt für einen modernen, rockigen Klang, begleitet die Schauspieler souverän und schafft für einige Szenen einen spannenden akustischen Hintergrund.
Jenny Schall schuf gegen die Düsternis des Stückes praktische und lebendige Kostüme, die nach der Dauer des Krieges förmlich riechen. Dabei prägten mit Grün und Orange die Farben der letzten gescheiterten Revolutionen das Bild. Das gut bespielbare und optisch hervorragend in Szene gesetzte Bühnenbild von Gundula Martin ist durch eine endlose Landstraße die hinauf ins Nichts führt geprägt. Der alte Kleinbus, den die Besitzerin selbst ziehen muss wird einerseits zum variablen Spielort, ist aber andererseits auch Symbol für die Ausweglosigkeit und die Unmöglichkeit den ungeliebten Ort zu verlassen.
Für die 1. Pause hält das Theaterspektakel um Brecht für das geneigte Publikum einiges bereit. So zelebriert Jan Mixsa seine poetischen Songs am Harmonium, treffen sich Johannes May, Tom Bartels und Roland Kurzweg zu „Baal und die zwei Arbeiter“, flimmern Filmausschnitte aus „Kuhle Wampe“ über die Leinwand, schmücken alte Brecht -Theaterplakate die Wand und lädt natürlich die gesammelte Gastronomie, plus „Raucher L(o)unge“ sowie der Jahrmarkt zum Verweilen ein. Natürlich nur für jene die ihre Karten für den zweiten Teil des Abends schon im praktischen „Brecht Auf – Umschlag“ eingesackt haben.
Eine gute Gelegenheit auch sich der Weltkarte im oberen Foyer zu widmen. Sie zeigt die Fluchtwege rund um den Erdball, die Bertolt Brecht von 1933 bis 1945 im Exil nehmen musste. Dazu Auszüge aus seinen „Flüchtlingsgesprächen“ die in Inhalt und Problematik auf erschütternde Art und Weise an heutige Asylbürokratie in Europa erinnern.
Das große Manko des Spektakels offenbart sich nun im 2. Teil. Der Zuschauer kann aus vier Stücken eins auswählen oder anders formuliert: „Drei Stücke kann er nicht sehen“. Der Rezensent umging die Klippe etwas durch den Besuch der Generalprobe und kann so über „Die Kleinbürgerhochzeit“ und „Lux in Tenebris“ berichten. Warum er sich damit gegen „Baal“ und“ Hannibal“ entschied bleibt Privatsache. Doch das Publikum kann in den weiteren Vorstellungen auch die anderen Stücke des 2. Teils sehen, mit Hilfe der sogenannten „Wiederkommerkarten“. Da auch der geneigte Rezensent diese Gelegenheit nutzen wird, erscheinen auch bald die anderen Eindrücke auf dieser Webseite.
Regisseurin Ulrike Müller konnte den Spielort für „Lux in Tenebris“ auf die Hinterbühne verlegen. Zuvor jedoch teilte sie das Publikum in zwei Hälften für das Fragment „Der Bettler oder Der tote Hund“. Ich folgte den Schauspielerinnen Eva Geiler und Angelika Sautter mit anderen auf die Treppe zum oberen Foyer. Brechts Fragment vom Bettler und dem Kaiser ist ein wahrlich intelligentes Symbol für die Unterschiedlichkeit des Lebens. Ein Bettler frei von Eigentum, Macht und Besitz und daher frei in seinem Denken trauert um seinen toten Hund. Der Kaiser, der erst gnädig sich zum Gespräch herabbegibt ist sehr erstaunt wie respektlos der Bettler mit ihm spricht. Zwei Welten lässt Brecht hier behutsam, aber eindeutig aufeinanderprallen wie sie unterschiedlicher nicht sein können und lässt die Frage wahrer Freiheit offen.
In „Lux in Tenebris“ geht es dann um einen enttäuschten Bordellkunden, der direkt im Rotlichtmilieu eine medizinische Ausstellung über Geschlechtskrankheiten eröffnet. Brecht schrieb diese Stück übrigens im Alter von nur 19 Jahren. Ulrike Müller lässt nun besagten Herrn Paduk (hervorragend Robert Eder) zuerst mit ein paar Kinderschuhen hantieren, um den sozialen Druck auf Paduk, der eine Familie zu versorgen hat, aufzuzeigen. Dadurch bekommt die sonst nur allein finstere Figur eine neue Dimension und der verblüffende Schluss des Stückes eine fast logische Konsequenz. Eva Geiler, Angelika Sautter, Mirko Warnatz (herrlich zweideutig als Kaplan) und Simon Elias (grandios in der Mischung aus Vortragsdiktator und Untertan) überzeugen in verschieden Rollen und Mitglieder des Seniorentheaterclubs und der Musicalgruppe gestalten ein beeindruckendes Schlussbild.
Gundula Martin (Bühne) und Jenny Schall (Kostüme) sorgten für eine, nur auf den ersten Blick sparsame Ausstattung, die der Publikumsnähe und dem Spielort Rechnung trug und die Inszenierungsidee unterstützte. Auch dieses Stück ein Muss, nicht nur für Robert Eder Fans.
Wer im 2. Teil Karten für „Die Kleinbürgerhochzeit“ erworben hat, glaubt sich bei einem solchen Spektakel auf der sicheren Seite. Gilt doch bei manchem, dieser von Brecht im Alter von 21 Jahren geschriebene Einakter als sein amüsantestes Stück. Dabei vergisst man leicht, dass der Brecht da eigentlich eine Farce ohne richtige Handlung formuliert hat und man spürt bei dem Text förmlich die Unerfahrenheit des noch jungen Autors für eine theatralische Dramaturgie. Ich persönlich glaube ja, dass Brecht bei diesem Stück mehr an einen Film und weniger an ein Theaterstück gedacht hat, doch Belege dafür gibt es nicht. Auch in der Ausstattung hält das Stück einige Schwierigkeiten bereit und so gehört schon großer Mut dazu, innerhalb eines so kompakten Abends dieses Werk, noch dazu in einem Zelt, aufzuführen.
Um es gleich vorweg zu nehmen, Regisseur Tilo Esche ist die Umsetzung glänzend gelungen. Er gibt der gesamten Hochzeitsgesellschaft den Raum für Entwicklung die diese braucht und schafft es gleichzeitig den einzelnen Akteuren jene Spielflächen zu garantieren, damit sie ihre Rollen zu glaubwürdigen Figuren entwickeln können. So schafft es Heinz Klevenow, als Vater der Braut der eigentlich ständig mit seinen alten Geschichten die Gäste nervt, sich in die Herzen des Publikums zu spielen. Klevenow verkörpert diese Rolle derart liebevoll, dass man ihm am Ende seine Marotte gar nicht übelnehmen kann. Passend dazu Sybille Böversen als Mutter des Bräutigams, die verzweifelt versucht im Hintergrund den Schein der heilen Welt aufrechtzuerhalten. Dabei wirkt sie so diskret im Hintergrund, dass sie zum Schluss von ihrem eigenen Sohn gar nicht mehr wahrgenommen wird. Marianne Helene Jordan als Braut interpretiert herrlich diesen Typ Frau, welche an ihrem eigenen Perfektionismus am meisten leidet. Ständig gehetzt, alles muss klappen, reagiert sie gereizt auf ihren Vater und alles was ihm nur ähnelt. Dabei leidet sie offensichtlich an einer Allergie auf den selbstgemischten Holzleim ihres Gatten. Der wiederum stapft tapfer in seiner neuen Welt von Familie und Verantwortung herum und schwankt zwischen freundlicher Gemütlichkeit und familiären Gehorsam. Friedrich Rößiger demonstriert uns in dieser Rolle eindringlich die Unmöglichkeit dieses Unterfangens. Sein Freund (Wolfgang Tegel) versucht ihn nach Kräften dabei zu unterstützen, aber auch er scheitert trotz Überblick und Scharfsinn. Nadine Ehrenreich und Daniel Borgwardt als eingeladenes Ehepaar, gelingt es in wenigen Szenen auf komische Art und Weise den Prozess in einer Ehe darzustellen, wo aus der anfängliche Liebe tiefe Verzweiflung geriert. Grandios wie aus dem ernsten Spiel der beiden die eigentliche Komik wächst. Marlene Hoffmann als Schwester der Braut verguckt sich in einen jungen Mann (Sebastian Volk). Nicht nur ihre Schlagsahnen Szene (ohne Schlagsahne) ist ein purer Genuss. Insgesamt ein wunderbares, spielfreudiges Ensembles.
Eine Inszenierung mit Tempo und Witz, die nie in die Klamotte abgleitet. Jenny Schall erschuf die herrlich schrillen Kostüme und Saskia Wunsch baute nicht nur ein farbenfrohes Bühnenbild, welches das Ambiente des Zeltes vergessen ließ, sondern meisterte auch alle Schwierigkeiten und Klippen die Brecht mit einstürzenden Stühlen und abbrechenden Tischbeinen in das Textbuch reingeschrieben hat.
In der 2. Pause dann rächt es sich, wenn man vorher am Getränkestand ein Bier zu viel genommen hat. Der Gang auf die Toilette braucht Zeit und man könnte z.B. Sybille Böversen mit ihrem Flohzirkus verpassen. Auch müssen jetzt noch jene Elemente der großen Brecht-Theater-Schau besichtigt werden die in der 1. Pause zu kurz gekommen sind, bevor dann der Einruf zum 3. Teil des Abends mit dem langen Titel „Tränen, Schnee und gestern Abend – Brecht Lieder“ erfolgt.
Der Zuschauer sollte sich von dem Titel nicht abschrecken lassen. Es wird nicht schneien, niemand muss weinen und die Musik ist auch nicht von gestern. Unter der Leitung von Alexander Suckel singen zehn Mitglieder des Ensembles Lieder verschiedener Komponisten mit Texten von Brecht und wurden dabei von Manuel Soubeyrand in Szene gesetzt. Dazu gibt es kleine Brechttexte bei denen so mancher wohl rote Ohren bekommen könnte. Aber nicht wegen politischer Agitation, sondern auf Grund der frivolen Formulierungen. Obwohl fast jeder Song ein Highlight für sich ist, plätschert der Abend etwas zu gleichmäßig dahin, was der Begeisterung des Premierenpublikums aber keinen Abbruch tat und es feierte gegen Mitternacht das Ensemble und seinen Intendanten mit stehenden Ovationen.
Das „Brecht auf! Das Fest“ in Senftenberg ist trotz seines holprigen Namens unbedingt einen Besuch oder gar eine Reise wert. Nicht nur eine fundamentale und liebevolle Leistungsschau aller technischen und künstlerischen Bereiche eines kleinen Theaters in der Lausitz, sondern eine hochkünstlerischen Liebeserklärung an einen Theaterautor und Künstler dessen Texte das Deutschland von heute doch so dringend braucht.
Die nächsten Vorstellungen finden am 26.09./ 3.10./ 9.10./ 10.10./17.10./ 24.10./ 25.10/ 28.10. und 31.10. statt. Weiter Informationen im anhängenden Film oder unter www.theater-senftenberg.de
Fotos: Steffen Rasche
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