Stundenlang konnte Lucas vor dem Aquarium , das ihm seine Mutter zum Geburtstag geschenkt hatte, sitzen und die ihm anvertrauten Fische beobachten.
Die Neonsammler, die metallisch glänzenden Forellenbärblinge und die Black Molly’s schienen keine Eile zu haben, träge schwammen sie von links nach rechts und von rechts nach links.
Ab und zu stierte einer durch die Scheibe, als wollte er die Welt außerhalb des Glaskäfig’s ergründen.
Dann ließ er von seinem Vorhaben ab und folgte wieder dem Schwarm.
Fisch müsste man sein, dachte Lucas: dann bräuchte man zumindestens nicht in der Schule blöde Fragen zu beantworten.
Wo steht? “… Sie sollen alles verkaufen und an die Armen verteilen … … und sie sollen heulen, über das Elend, das über sie kommen wird …” hatte gestern der dicke Röhrbeck wissen wollen.
“Im Kapital?” spekulierte Lucas …. “Nein, das steht in der Bibel, in der Reihenfolge: Petrus und Jacobus, ” tadelte Röhrbeck sanft und fügte hinzu: “Die heiligen Worte sind dir leider nicht so geläufig – mein Sohn, schade.”
Wenig später ging die Demütigung weiter: “… Wie heißt der Planet, der mit 107 000 Stundenkilometer elliptisch um unsere Sonne fliegt?” Achselzucken. “Lucas, Sie sind Bewohner dieses Himmelkörpers.”
In Biologie erläuterte Fräulein Klarsicht: ” Dass Gefressen zu werden, das häufigste Schicksal der Tiere sei und, dass es eine sinnlose Grausamkeit in der Natür gäbe.” Da hatte sich Lucas gemeldet und von seinen Fischen erzählt – wie gut und behütet deren Lebensraum wäre.
Natürlich können wir den “Plan der Schöpfung” manchmal überlisten, gab Fräulein Klarsicht zu: “Indem wir geschützte Areale schaffen … unsere Wohnungen, diesen Klassenraum zum Beispiel oder ein Aquarium.
Aber darüber steht das höhere Sein: der Mensch hat keine Macht, den Jahreszeiten zu befehlen; kann nicht den Tag seines Todes vorhersagen; vermag überhaupt nur marginal den Lauf der Welt zu ändern…”
Die Schulklingel schrillte, unterbrach jäh weitere philosophische Ergüsse. Endlich.
Geschützte Räume, pah! Draußen pulsierte das wahre Leben: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Struth hat gesagt, heute würde er sich den dünnen Dohnat aus der 9a vornehmen; angeblich hätte der geäußert, Struth’s Schwester Carola wär’ eine Schlampe.
Elf Uhr. Große Hofpause. Lucas überlegte, ob er bis zu “Zoo-Kärger” schaffte.
Heute bekam der Händler Ware, vielleicht waren ja braun gefleckte Antennenwelse dabei; die würden so gut in’s Aquarium passen….
Fünf vor halb zwölf… bloß schnell zurück. Mit Standke, dem Physikpauker, war nicht gut Kirschen essen.
Beinahe wäre Lucas vor der Schultür über Dohnat gestolpert; der hielt ein blutiges Taschentuch vor die Nase und keuchte:
“Keine Chance, der Struth!” … Wahrscheinlich tat’s doch nicht so weh, denn Dohnat fragte mißtrauisch: “Wo warst du’n während der Klopperei?”
“Bei Kärger” sagte Lucas wahrheitsgemäß, “der hat heute ‘ne ganze Ladung Welse bekommen. ”
Dohnat schüttelt vorsichtig den Kopf: ” Fisch… mitten in der Woche, ich fass’ es nicht , na, ihr müsst es ja haben ! …verflucht, ich muss nach Hause … glaube, meine Nase ist gebrochen … die Rechte , hab’ ich nicht kommen sehen….”
“Wusstest du nicht, dass der Boxer ist ? War sogar mal Bezirksmeister.” “Nee, hat mir keiner gesagt, ich dachte immer, der spielt Tennis … sag mal, den Wels, gibt’s den bei euch gekocht oder gebraten …?”