An einem ganz gewöhnlichen Dienstag traf es Lucas
Wir hatten uns gerade schön in die Bänke gelümmelt, als Haumüller sich von der Tafel umdrehte, und rief : “Lucas, was sagen Sie dazu?”
“Zu was”, antwortete Lucas höflich. Manchmal beneidete ich ihn, um diese guten Umgangsformen; man merkte gleich, dass er aus einem etwas besseren Elterhaus stammte. Erziehung prägt mehr als wir denken, habe ich irgendwo gelesen. Das sollten sich mal die Alten hinter die Ohren schreiben.
Haumüller unterrichte Werkstoffkunde und wirkte wie der Vertreter einer längst ausgestorbenen Spezies – manchmal dachten wir, er wäre der Bruder von Willi Schwabe und läuft auch am Tag mit so einer Bergmannslampe rum.
Willi Schwabe, für Leute, die’s nicht wissen, war Kult im Ostfernsehen. Ein weißhaariger, groß gewachsener, älterer Herr, der mit einer Laterne in der Hand, bedächtig die Treppe zum Boden hinaufging, in seine Rumpelkammer.
Logischerweise hieß auch die Sendung : Willi Schwabes Rumpelkammer . Also, the Old Man, schlurft hoch, öffnet die knarrende Tür mit einem riesigen Schlüssel, stellt seine Lampe ab und schaut sich um.
Ich weiß nicht, ob das wirklich seine Rumpelbude war oder ob die Requisite da ein Haufen Zeugs gesammelt hat – jedenfalls sah alles total echt, wie von anno knips, aus.
Jedesmal schaute sich Willi erstaunt um, wahrscheinlich selber fasziniert von dem ganzen Krempel, und rief: Ooooh, was haben wir denn da? Hielt irgendwas hoch: ein Bild, ein Plakat, ein Gehstock, ‘ne alte Kanne, ein Aschenbecher oder Teile von einem Grammophohn.
Und nun staunte Willi noch mehr und sagte: mir fällt dazu folgendes ein: dann folgten lustige Anektoden, Geschichtchen, Sprüche, Rückblenden etc.
Mal sehen, was wir beim nächste mal finden, blinzelte Willi zum Schluss, wie ein Maulwurf, in die Kamera, verschloss seine Wühltenne und tappte hinunter.
Was dem Mann auch eine Sonderrolle sicherte, war seine samtene Hausjacke. Manche werden sich erinnern: so’ n langes, altmodisches Ding, mit einer Reihe Hirschhornknöpfe vorn. Die Jacke trug er in jeder Folge .
Meine Großmutter war verliebt in Willi: der ging früher mal in meine Schule sagte sie verträumt in Richtung Glotze, der wollte schon immer zum Fernsehen.
Na, hat er doch geschafft, meinte ich und frug: hat der in der Schule schon die selbe Jacke angehabt ? Ich dachte an Lehrer Haumüller. Peng, das war’s, an dem Abend fiel mein Abendbrot aus, bei Oma .
Du weißt ja, wo alles steht, sagte sie mit spitzen Mund und zog sich beleidigt zurück.
Mir ging die Laterne nicht aus dem Kopf .
Irgendeiner hat das wohl schon bei den alten Griechen gemacht: sich am helllichten Tag auf dem Marktplatz rumgetrieben den Leuten frech ins Gesicht geleuchtet und gerufen: “ich suche die Wahrheit”.
Da wäre er bei uns an der richtigen Adresse: ich glaube, der lange Bongartz hätte ihm gleich über die Laterne eine gepflastert und gefragt, ob er noch mehr Wahrheit bräuchte.
Aber Blinde soll man ja nicht schlagen.
Bloß ausleuchten lass ich mich auch nicht, da steh ich voll hinter Bongartz.
Inzwischen ging der Zeck im Klassenzimmer weiter; wir wussten ja, dass Haumüller verbohrt war.
“Was denken Sie, Lukas, was ich hier mache”, fragte er hinterhältig, mit einem nervösen Augenzwinkern ?
“Keine Ahnung”, sagte Lucas bedächtig .
“Nun”, sagte Haumüller: ich bin ihr Lehrer für Werkstoffkunde und wir haben heute die verschiedenen Arten des Zements durchgenommen.
Zement, Lucas, ist das Bindemittel, dass Sie” – Haumüller hob den Zeigefinger wie Theo Lingen , “noch in beträchtlichen Mengen in diverse Mischer schaufeln werden – falls”, der Zeigefinger reckte sich noch höher, “natürlich falls, Sie diese Lehre hier erfolgreich abschließen”.
“Phh , mach ich eben was anderes”. Lucas meinte das ernst, er wusste um seine Vielseitigkeit und war nicht auf Typen wie Haumüller angewiesen.
Der lief rot an: “es reicht, Lucas,endgültig, es reicht: Sie bekommen wegen Subordination eine Fünf”.
“Was für’n Sub…. ” flüsterte mir Tischer zu. “Keine Ahnung, flüsterte ich zurück, der doofe Pauker will doch bloß angeben”.
Auf die Hinterhaltattacke mit der Fünf reagierte Lucas heldenmäßig gelassen.
Der Lockige sagte nur: “Na und” ………. alle hielten den Atem an.
Lucas stand einfach da und sagte : “Na und”.
Nicht einfach “na” und “und”, sondern “naa uuund”.
Die Nummer hatte sich Lucas von seinen Fischen abgeguckt, die er zu Hause hielt, nachdem er seine Karriere als Hamsterzüchter aufgegeben hatte.
Die acht Buchstaben waren zuviel für den Zementknecht. Er schrie: ” raus, Lucas, raus!”
………..Fortsetzung folgt .