…”Senf oder Ketchup?”
Das neue Jahr fängt an, wie das alte geendet hat, denkt die Bratwurstverkäuferin. Sie steht vor dem großen Einkaufszentrum und friert sich die Füsse ab. Drinne, die habens gut, geht es ihr neidisch durch den Kopf:
Die stehen leicht bekleidet, gut frisiert hinter ihren Ständen im Warmen und könnnen über Gott und die Welt plaudern.
Klar, dass die sich als was Besseres fühlen, dabei sind’s auch nur Verkäuferinnen. Wie die manchmal, die Nase in den Himmel gereckt, grußlos vorbeistöckeln – unglaublich, das freche Volk!
Ärgerlich rollt sie die eingedarmte Wurstpampe auf dem Grill herum und hofft, dass dieser nasskalte Tag schnell vorbeigeht .
Sie tut sich leid.
Ihre Gedanken machen sich selbstständig, flattern davon.
Wie schön wäre es, wenn ein netter Herr vorbeikäme und mich heute Abend in eines der schönen Restaurants am Markt einlädt. So ein vornehmes, mit flinken, höflichen Obern, die jeden Wunsch von den Lippen ablesen.
Bei einem Glas Wein würde ich dem nettem Herrn erzählen, dass ich nicht immer Bratwurstverkäuferin war, sondern aus gutem Hause stamme und widrige Umstände mich auf die Straße trieben.
Vielleicht würde er mir verständnisvoll in die Augen sehen und flüstern: bald wird alles besser, hab’ nur ein wenig Geduld….
Am Abend steht die Bratwurstverkäuferin immer noch hinter ihrem Stand, hat fahrendes, hungriges Volk bedient .
Kaum einer hat sich Mühe gemacht, mit ihr mehr als drei Worte zu reden. Ein netter Herr ließ sich auch nicht blicken.
Kein Wunder, denkt sie: die gehen ja auch ins Restaurant.
Als es dunkel wird, tun ihr die Füße weh, die Hände sind rot geschwollen, die Haare riechen nach Bratenfett ; der Blick ist müde. Endlich Feierabend: aufräumen, sauber machen, Vorräte nachfüllen.
Zu Hause gießt sie sich ein Glas Wein aus der Tüte ein und nimmt sich aus dem Regal, wo die Märchenfilme stehen, “Aschenputtel” heraus .” Die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen …”
Morgen wird sie wieder hinter ihrem Stand stehen: weiße Rohlinge auf den Rost legen, Brötchen aufschneiden, die verschmierte Ketchuppulle säubern, den eingetrockneten Senf durchrühren und auf Kundschaft warten.
Der Film hat sie gelernt, die Hoffnung nicht zu verlieren. Eigentlich muss man mit dem zufrieden sein, was man hat,denkt sie, andere sind wesentlich schlechter dran; die haben gar nichts.
Sie schaut in den Himmel, irgendwie wirkt der Tag heute freundlicher als gestern oder ist es eventuell das neue Jahr, das da rüberwinkt, mit einem hoffnungsvollen Anfang ….?
“Senf oder Ketchup, wie hätten Sie’s gern”….?