Das gibt’s doch nicht: die Zeitungsfrau wedelt wütend mit Deutschlands größtem Boulevardblatt in der Luft herum, so, dass ich erstmal wieder rückwärts weiche und dabei fast Horschte die Kaffeetasse aus der Hand reiße.
Horschte, dessen Stammplatz der kleinen Zweiertisch am Fenster ist, brummt ebenfalls: Sauerei.
Was denn? erkundige ich mich vorsichtig.
Hier stehts: die Frau zeigt auf einen Artikel mit Kommentar – das jetzt der Gauck Präsident wird ist O.K., aber, dass der Wulff auch noch so eine fette Pension bezieht, bis an sein Lebensende, das haut den Deckel vom Fass.
Der hat doch nur gelogen, dem müsste so eine Nase wachsen … Zeitungshelga zeigt, wie lang sie sich den Zinken vorstellt. Unwillkürlich denke ich an Kurt, wenn der prahlte, wie lang die Fische waren, die er wieder aus Mitgefühl laufen ließ.
Horschte, wie hieß der Kerl mit der Nase? Buratto, Buratti?
Sie meinen Burattino, werfe ich höflich ein, – die hölzerne Marionette aus dem Märchen “das goldene Schlüsselchen” – der mit seinen Freunden Pierrot, Malvia und Artemon dem berüchtigten Caraba Barabas das Handwerk legen wollte…
Helga guckt mich argwöhnisch an – sorry, wiegle ich ab, ich habe die Geschichte vorgestern meiner Tochter zum Einschlafen vorgelesen, deshalb sind mir die Namen noch geläufig …
Ach so, aber das ist doch der Kerl, dessen Nase mit jeder Lüge größer wurde? – genau , sage ich, das hatte Papa Carlo, sein Schöpfer so vorgesehen, und das ist ja dann auch eingetreten.
Ob Kohl oder Wulff, früher waren’s Honecker und Mielke, heute sind’s eben die Oberwessis, meldet sich Horschte zu Wort: wir sind immer die Doofen, die Dämlacke, die alles ausbaden.
Das ist noch nicht alles: der Wulff, wenn er damit durchkommt, kriegt außerdem ein Büro mit Sekretärin und einen Wagen mit Chauffeur gestellt.
Und mit Wagen, ich guck’ durch die Scheibe auf Horschtes Rostlaube, meine ich auch einen Wagen, einen richtig Nobel – BMW, mit allem Schnickschack. Rechnet mal, nur Netto: 16.500 + Bürokosten, ca. 4000, Sekretärin, 2500, Wagen, 1000, und Chauffeur, 3000, da kommste schon auf 27000 Euro.
Horschte und Helga starren mich an: jetzt nehmen wir an, unser Burattino der is’ jetzt 50 – wird 80 Jahre alt, dann sind das? Helgas Finger flitzen über den Taschenrechner 27000 x 12 x 30 – knapp 10 Millionen ….
Wissen Sie was, sagt sie leise, ich stehe hier im Laden, von früh bis spät und jeden 2. Samstag für exakt 401 Euro – was aber nicht stimmt, denn das Geld wird von der Agentur mit berechnet, eigentlich sind’s nur 165 Euro.
Früher war ich mal Filialleiterin in Sandow, da habe ich gutes Geld verdient, dann kam einer, der hat den Laden für seine Tochter gekauft und ich war draußen.
Ich knittre mitfühlend meine “BZ” zusammen, was soll ich sagen: anderen geht’s noch mieser, ohne Job, Sie haben ja noch nette Gesellschaft – ich blicke zu Horschte, der zum Sportteil der Bunten abgewandert ist und irgendwas über die Flaschen von “Energie” brubbelt.
Ja, die Gemeinschaft ist wichtig, ich lass’ öfter mal hier welche sitzen, wenn’s draußen so kalt ist, darf bloß mein Chef nicht wissen, der sieht das nicht gerne.
Na, gut: wir waren gestern in der Berlin, bei Gerhard Richter, sage ich.
Ist das Ihr Onkel fragt Helga, ich war Samstag in Berlin und weil da die S- Bahn bestreikt wurde, habe ich mir dem Luxus gegönnt und bin mit der Ritschka gefahren – da hatte ich auch mal einen Chauffeur: sie gewinnt langsam ihre gute Laune zurück.
Was macht denn überhaupt ihr Onkel?
Ach, sage ich, der malt ein bischen in der Freizeit, meist Familienbilder oder ähnliches
Schönes Hobby, sagt Helga – ich sag Tschüß, fahr zur Arbeit und bin
froh, dass Buratinno endlich weg ist ….