… ich bin beim Arzt und lass’ mir gerade von Schwester Isabell das Messgerät für eine Langzeit – Blutdruckmessung umhängen.
“Machen Sie den Oberkörper frei …immer wenn es piept, kurz stillhalten …. nach 24 Stunden drücken Sie hier lange auf den roten Knopf, dann können Sie das Gerät abnehmen … nicht wundern”, klärt mich die Schwester auf, “wenn auf dem Display nichts zu sehen ist … und, Herr Schäfer, außer Schwimmen und Baden bitte den Tagesablauf so wie immer gestalten, damit wir konkrete Ergebnisse erhalten.”
Im gut besetzten Sprechzimmer treffe ich meine ehemalige Klassenlehrerin, Frau Bahr – immer noch fit, aufgeweckt, putzmunter: die Augen funkeln listig in die Runde …. “Na , schwer krank?”
Ich sage: “Nöh, ist nichts weiter ” … “aha, also faulenzen”, sie nickt, wie zur Bestätigung, was soviel bedeutet: wusst’ ich’s doch – hat sich kein bischen geändert, der Schluhmichel.
Frau Bahr war damals eine sehr energische, zudem attraktive, selbstbewusste junge Frau.
Im Hauptfach unterrichtete sie Chemie, vertretungsweise Deutsch und Englisch.
Viele unserer Jungs, außer der dicke Wolfgang, der verwachsene Ulf Glaser und Burkhard Röpke, der sich nichts aus Mädchen machte, verehrten sie. Als Schüler der 10. Klasse waren wir jedoch hoffnungslos, ohne Chancen.
Ein Verehrer aus der 12a machte das Rennen, der hoch aufgeschossene, blondelockte Porewka, schlich in den Pausen immer in ihr Kabinett – wie hab ich den beneidet.
Besondere Freude machten Experimente im Freien. Magnesium und Schwefel zischten, übelriechende Dämpfe stiegen auf; Gefahr lag in der Luft.
Die Wildesten von uns mischten später Kalium und Phosphor zu gefährlichen Knallern, verhökerten das Zeug auf dem Schulhof, bis die Polizei eintraf … an das Verhör erinnere ich mich noch.
Ich schaue die kleine rotbäckige Frau von der Seite an, sie erzählt, dass ihr Mannn schon lange gestorben ist, die Enkel heranwachsen und Mischlingshündin Cora Antrieb sei, jeden Tag an die frische Luft zu gehen.
“Die Pietruschka von gegenüber hat keinen Hund, kommt nicht raus aus ihrer Bude – und hat alle Krankheiten, die man sich vorstellt.”
“Frau Bahr, bitte!” … mit kleinen Schritten tippelt meine ehemalige Lehrerin ins Behandlungszimmer.
Schade, ich hab versäumt, nach ihrer Adresse zu fragen … hätte ihr gern mal geschrieben.