Pünktlich zum 6. Dezember fiel Schnee. Seit dem frühen Morgen kämpfen Übereifrige – in Parkas und Daunenwesten gehüllt, gegen den Winter.
Nachbar’s schlafen noch. Ich hänge einen Geschenkbeutel an ihre Wohnungstür: alles Gute zum Nicolaustag.
Die ersten Schritte draußen sind gewöhnungsbedürftig – minus 2 Grad.
Ich lauf’ zur Lutherkirche, helfe dort Lebensmittel auszupacken. Bereitgestellt von der hiesigen Tafel, die von Hotels und Supermärkten beliefert wird.
Belegte Brote, Backwaren, Fisch, Salate, Obst …. Desserts.
Dickbäuchige Thermoskannen halten Kaffee, Kakao, Milch und Tee warm.
“Johanniter”, “Caritas” und viele ehrenamtliche Helfer haben alle Hände voll zu tun.
Die Zahl der Bedürftigen wächst. Ständig. Besonders an Feiertagen offenbart sich Elend.
Bei den Lutheranern gibt es klare Regeln, die ohne Murren eingehalten werden. Alle wollen wiederkommen.
Nach dem Essen wird eine Geschichte vorgelesen. Wer Hoffnung hat, betet.
Nach drei Stunden ist mein ehrenamtlicher Dienst heute beendet.
Zeitung im Lottoladen kaufen, der Bäckersfrau zuwinken, einem Radfahrer Platz mache , damit er nicht in die Schienen gerät.
Ich habe mich an die Kälte gewöhnt: wie es scheint, weht der Wind nicht mehr so scharf, die Temperaturen scheinen 3 bis 4 Grad milder als früh.
Noch ein Gang über den Friedhof. Unberührter Schnee. Gebinde, Blumen lassen froststarr die köpfe hängen. Viele Grabstätten sind eingeebnet. Fehlt Geld oder die emotionale Nähe zu Eltern und Großeltern?
Neben hundert Anderen liegen Hans und Ida Beyer hier, sie geborene Lisgott – vielleicht gibt es eines Tages virtuelle Biografien an der letzten Ruhestelle, die Anonymes zum Leben erwecken …
Immer noch auf dem Friedhof: ich bin die Erleuchtung, ich bin das Leben.
Ein Engel breitet kraftvoll seine Schwingen aus, schaut auf die, die unter ihm ruhn …. es scheint, als ob er sich bald mit mächtigem Schwung vom Sockel abhebt, um davonfliegen.
Ich eile nach Hause: beneide den Engel.
Lisa-Maria Gröbel kommt mir entgegen. 8 Jahre alt. Scheidungskind. Der Schulranzen drückt die schmächtige Gestalt. Sie schaut traurig.
“Was ist los?” frage ich …. “Ich war wohl böse, der Nicolaus hat mir nichts in die Schuhe gesteckt, dabei habe ich die gestern abend so doll geputzt”.
Sie schnauft: “Alle in der Klasse haben was gekriegt, nur ich nicht ” ….”Komm sage ich, der olle Weißbart wird wohl langsam schusslig: hat sich bestimmt nur in der Etage geirrt, garantiert ist auch für dich was abgegeben worden …”
Nachbar’s haben noch nicht ihre Tür aufgemacht, ein Glück! … “guck mal hier”, ich reiche Lisa die Geschenktüte … Knecht Rupprecht hat gedacht, du bist schon groß: deswegen war nichts in den Schuhen …”
Das Kind strahlt. Draußen rauschen Flügel …. Der Engel wird mir fehlen ….
Muss der jetzt abhauen, ausgerechnet am Nicolaustag?