Tunnel, flackernde Neonröhren, die U-Bahn rast durch unterirdische Gänge.
Vorbeihuschende Werbung, leere Bahnsteige, abgestandene Luft, müde Gesichter, ausgelatschte Kippen; auf dem Sitz gegenüber ein zerfledderter Roman: “Liebe in Zeiten der Cholera”, sicher eine Metapher über die
Unbesiegbarkeit. Blödsinn: wenn die Pumpen ausfallen, saufen wir ab, wie Ratten …
Hab’ vergessen Mama zum Geburtstag zu gratulieren. Wir wollten zusammen essen gehen – ins “Lapiano”: alles frisch zubereitet, du kriegst einen Funkmelder, der piept, wenn die Pizza fertig ist; bis zum letzten Tropfen Salatöl grammgenau kalkuliert: Zufälle ausgeschlossen – richtig satt wird man nicht, der Appetit soll bleiben, die Lust wiederzukommen.
Ich kenn’ das: habe für 600 Filialen ein Managementprogramm geschrieben: Umsatz – Kostenanalyse – Personalaufwand. 5000 Euro sind pro Quadratmeter zu erwirtschaften, ca. 400 Euro pro Verkäuferin am Tag; alle 6 Stunden 2 min Pinkelpause, keine Privatgespräche, Kameraüberwachung – der Kunde ist Gott, Gott ist der König …. arme Schweine, die da keulen müssen.
Der Zug rast durch die Nacht: ich leg die Beine hoch, fühl mich wohl, ein unrasierter Kerl schwankt heran, ein fleckiges Saxophon baumelt vor seiner Brust : bloß das nicht – war gerade so schön beim einduseln – geb’ ihm ein Fünfer, lege den Zeigefinger auf die Lippen … pssst, er kapiert: bestimmt Student, wie lange ist das her … wo sind meine Pillen? mein Therapeut wird zwar fluchen, den möchte ich sehen, wenn der meinen Job machen müsste …. bunte Seifenblasen steigen auf, heile Welt, ich bin unbesiegbar!
Mama hat keinen Durchblick: hockt in ihrer abgewohnten Klitsche am Rande des Universums, eingekesselt vom Tagebau, abgesoffenen Restlöchern, fuchtelt mit bunten Ansichtskarten rum und erzählt allen, was ich für eine Karriere hingelegt habe.
Alle Ampeln Grün – der Zug rast durch mein Gehirn.
“Liebe in Zeiten der Cholera” – Erde, Himmel, Hölle, die hatten’s drauf damals.
Ich möchte auch mal wieder morgens wachgeküsst werden; vielleicht gebe ich eine Anonce auf: “Karrierefrau, mit gehobenen Ansprüchen sucht entsprechenden Herrn, nicht über 45 ..
Der Zug bricht aus der Erde. Durch die Scheiben funkelt Violett. Pankow. Schultheiß-Brauerei. Schönhauser …..
Die Pumpen unter uns speien dunkles Wasser aus.
Ratten strecken rosig ihre Schnauzen in den Wind. An den Häuserwänden Graffiti. Plakate locken mit Angeboten.
Sale, alles günstig zu haben, irgendwann auch ich!