Das Interesse war riesig. Bereits gegen 16 Uhr füllte sich der Vorplatz der Schlosskirche in Cottbus entlang der Sprem bis zum Heronplatz mit Leben und neugierigen Blicken. Als gegen 16:45 Uhr der Festumzug vom jüdischen Gemeindehaus zur neuen Synagoge begann, drängten sich die Menschen dicht an dicht um einen Blick zu erhaschen. Etwa 1000 Interessierte waren gekommen um die Einweihung der ersten Synagoge Brandenburgs nach dem zweiten Weltkrieg mitzuerleben. Der Platz im neuen Gotteshaus war begrenzt, daher wurde vorsorglich ein Zelt mit Videowand sowie eine weitere Videowand vor der Synagoge aufgestellt. Trotz Regen blieben viele um dieses wahrscheinlich auf lange Sicht einmaliges Erlebnis auf sich wirken zu lassen. Nachdem der Festumzug die Synagoge erreicht hatte, brachte Landesrabbiner Nachum Presman zusammen mit dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Cottbus, Gennadi Kuschnir, die Mesusa (eine Schriftkapsel am Türpfosten) an, segnete das Haus und das Band zum Einlass in die Synagoge wurde durchschnitten.
Nach einem Eingangsgebet und musikalischer Begleitung durch einen jüdischen Chor aus Potsdam begrüßte Kuschnir die Anwesenden und dankte für die große Anteilnahme. „Die Jüdische Gemeinde Cottbus hat sich in den vergangenen 15 Jahren seit ihrer Gründung intensiv mit der Geschichte des jüdischen Lebens in Cottbus und der Region beschäftigt. Dies war und ist auch ein wichtiger Bestandteil jüdischer Identitätsfindung Zugewanderter. In der Vergangenheit verliehen jüdische Persönlichkeiten in Wirtschaft und Politik der Stadtentwicklung wesentliche Impulse und hinterließen Prägendes. Die an Gründungsjahren gemessen noch recht junge Jüdische Gemeinde will daran anknüpfen und strebt ihre aktive Teilhabe am Leben der Stadt an. Das Vorhandensein einer Synagoge ist dabei ein wichtiges Attribut.“
Die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Sabine Kunst sprach von „einem Tag der Freude“. „Die Umwidmung der früheren Schlosskirche ist ein bundesweit wichtiges Symbol für den Zusammenhalt der Religionen. Das ist gerade am heutigen Tag, dem 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, und in diesen Zeiten, so kurz nach den Anschlägen von Paris, ein wichtiges Signal: Ein friedliches Miteinander der Kulturen ist möglich“, betont Ministerin Kunst. „Das jüdische Gotteshaus in Cottbus ist ein sichtbares Zeichen für das vielfältige und aktive jüdische Leben, das sich seit den 90er Jahren in unserem Land wieder entwickelt hat. Möge dieses Gotteshaus der Jüdischen Gemeinde Cottbus zum Segen gereichen und den Juden der Niederlausitz zur Heimat werden“, so Kunst.„Ich freue mich, dass wir in den vergangenen 25 Jahren dazu beitragen konnten, die Entwicklung jüdischen Lebens zu unterstützen.
Für Oberbürgermeister Holger Kelch ist das ein Ereignis, das nicht nur die Jüdische Gemeinde betrifft: „Die Einweihung der Synagoge ist ein Zeichen weit über die Niederlausitz hinaus. In Cottbus gibt es wieder jüdisches Leben. Eine lebendige Gemeinde bringt sich in unser kulturelles Leben ein.“ Der Cottbuser Oberbürgermeister fand klare Worte und mahnte im Angesicht der aktuellen Situation an, keine Minderheiten oder Verfolgte auszustoßen oder vorzuverurteilen. “Egal ob ausländische Studierende, Gläubige verschiedener Religionen oder Flüchtlinge. Wir heißen sie willkommen, unterstützen und werden all denjenigen helfen, die Hilfe nötig haben.” Für sein Statement bekam er Zwischenapplaus.
Zusammen mit dem ehemaligen Oberbürgermeister Frank Szymanski übergab er, den durch den Handwerker Otto Quitzke aus den Trümmern der 1938 niedergebrannten Synagoge geretteten Chanukka-Leuchter, an die jüdische Gemeinde.
Nach Abschluss der Reden wurde der Thoraschrein geöffnet, wobei Wieland Eschenburg ( Büroleiter des ehemaligen Oberbürgermeisters Frank Szymanski) erheblichen Anteil daran hat, dass es überhaupt einen Fertigen gibt. Er wurde von Rabbiner Presman angesprochen und kümmerte sich binnen einen Monats mit lokalen Handwerkern darum, diesen für die Gemeinde fertig zu stellen. Vertreter des jüdischen Glaubens begannen mit dem Schreiben der Anfangsverse einer neuen Thorarolle für den Schrein. Danach klang der Abend bei Gesang, Tanz und jüdischen Speisen aus.
Hintergrund:
Die einschiffige Schlosskirche Cottbus wurde von 1707 bis 1714 von französischen Hugenotten erbaut. Die evangelische Kirchengemeinde St. Nikolai Cottbus, die das Gebäude zuletzt nutzte, verkaufte die Kirche im vergangenen Jahr der Jüdischen Gemeinde Cottbus, um es als Gotteshaus zu erhalten. Der Kaufpreis in Höhe von 582.000 Euro wurde vom Land Brandenburg übernommen. Das Kulturministerium hat die Umwandlung des Gebäudes zu einem jüdischen Kultraum mit 12.000 Euro und den Einbau von Sicherheitstechnik mit 18.000 Euro unterstützt. Zudem wird der Betrieb des Gebäudes mit jährlich 50.000 Euro gefördert.
Jüdisches Leben in Cottbus ist seit dem 15. Jahrhundert dokumentiert. Die erste jüdische Betstube wurde 1811 in einem Hinterhaus eingerichtet. Die 1902 eingeweihte Synagoge wurde bei den NS-Novemberpogromen 1938 niedergebrannt: Bei Kriegsende im Jahr 1945 lebten nur noch zwölf von ursprünglich mehr als 300 Juden in der Stadt. Erst 1998 konnte eine neue jüdische Gemeinde gegründet werden, heute zählt sie rund 350 Mitglieder.
Im Land Brandenburg haben sich seit 1991 jüdische Gemeinden in Potsdam, Cottbus, Frankfurt (Oder), Brandenburg an der Havel, Bernau, Oranienburg und Königs Wusterhausen mit rund 2.000 Mitgliedern gegründet. Das Land Brandenburg hat 2005 einen Staatsvertrag mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden abgeschlossen und stellt den Gemeinden jährlich 500.000 Euro zur Förderung jüdischer Gemeinde- und Verbandsstrukturen zur Verfügung. Auch die Pflege der jüdischen Friedhöfe wird vom Land mitfinanziert.
Seit 2012 gibt es zudem das Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, in dem Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen zusammenarbeiten. Im Jahr 2013 wurde die School of Jewish Theology an der Universität Potsdam eingerichtet. Um eine bekenntnisgebundene Besetzung der Professuren zu ermöglichen, wurde das Landeshochschulgesetz geändert. Seither können Frauen und Männer das Rabbiner- bzw. das Kantorenstudium an der Universität Potsdam sowie am Abraham Geiger Kolleg und am Zacharias Frankel College Rabbiner absolvieren. Der Studiengang „Jüdische Theologie“ an der Universität Potsdam wird vom Land jährlich mit 563.000 Euro unterstützt, das Abraham Geiger Kolleg mit 50.000 Euro.
Das 1992 gegründete Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam ist eine interdisziplinär arbeitende Forschungseinrichtung, die historische, philosophische, religions-, literatur- und sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung betreibt. Im Zentrum der Forschung stehen dabei die Geschichte, Religion und Kultur der Juden und des Judentums in Europa sowie die Beziehungsgeschichte von Juden und nichtjüdischer Umwelt. Das Moses Mendelssohn Zentrum wird vom Land jährlich mit mehr als 700.000 Euro gefördert.
Fotos: @UK und Benjamin Andriske
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