Erst mit der endgültigen Abschaffung des § 175 StGB im Jahr 1994 endeten polizeiliche Verfolgung und Stigmatisierung homosexueller Männer durch den Staat auf Grund dieses Paragraphen. Ein Geschichtsprojekt des Vereins „Faires Brandenburg“ will die damit verbundenen Brandenburger Einzelschicksale aufarbeiten. Für dieses Projekt übergab Justizminister Helmuth Markov heute Lottomittel in Höhe von 5000 Euro.
Bei der Übergabe betonteer: „Auch wenn homosexuelle Männer heute keiner staatlichen Repression aufgrund des Paragraphen 175 mehr ausgesetzt sind, ist Homophobie noch immer ein gesamtgesellschaftliches Problem. Homophobie ist ein Angriff auf die Grundwerte unserer Gesellschaft. Die Freiheit des Einzelnen und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung müssen in einer demokratischen Gesellschaft allen zustehen.“ Er lobte das Projekt, das Einzelschicksale von Menschen, die aufgrund des § 175 verurteilt wurden, recherchiert und die Geschichte der Betroffenen für die heutige Generation sichtbar macht. „Es wäre fahrlässig, das Leid zu unterschätzen, das Schwule erleben mussten. Was zählt ist das Erlebte jedes Einzelnen und daraus kann man nur lernen, wenn man mit den Betroffenen spricht.“
Markov verwies zudem angesichts der jüngsten Debatten zum Adoptionsrecht auf die Aktualität des Themas. „Viele Argumente gegen die vollständige Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften mit Ehepaaren entstammen noch immer einem Geist der 50er Jahre. Vieles steht nach wie vor im krassen Gegensatz zu einer modernen und toleranten Gesellschaft. Bei einer Adoption muss immer das Kindswohl im Vordergrund stehen. Völlig irrelevant ist dabei jedoch, welche Staatsbürgerschaft, Religion, Hautfarbe oder Sexualität die Eltern haben. Schade, dass die Bundesregierung im Frühjahr diesen Jahres erneut die Chance vertan hat, homosexuelle Paare auch in dieser Hinsicht gleichzustellen“.
Hintergrund:
Der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches existierte vom 1. Januar 1872 bis zum 11. Juni 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer nach den verschiedenen Fassungen des § 175 verurteilt. Am 1. September 1935 verschärften die Nationalsozialisten den § 175, unter anderem durch Anhebung der Höchststrafe von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis. In der DDR wurden ab Ende der 1950er Jahre homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen nicht mehr geahndet. 1968 erhielt die DDR ein eigenes Strafgesetzbuch, das in § 151 gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen mit Jugendlichen sowohl für Frauen als auch für Männer unter Strafe stellte. 1988 wurde dieser Paragraph ersatzlos gestrichen. Die Bundesrepublik Deutschland hielt zwei Jahrzehnte lang an den Fassungen der §§ 175 und 175a aus der Zeit des Nationalsozialismus fest. 1969 kam es zu einer ersten, 1973 zu einer zweiten Reform. Seitdem waren nur noch sexuelle Handlungen mit männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren strafbar, wogegen das Schutzalter bei lesbischen und heterosexuellen Handlungen bei 14 Jahren lag. Erst nach der Wiedervereinigung wurde 1994 der § 175 auch für das Gebiet der alten Bundesrepublik ersatzlos aufgehoben.
Im Bündnis faires Brandenburg haben sich Vereine und Initiativen sowie engagierte Einzelpersonen zusammengeschlossen, die das Ziel verfolgen, Projekte vor Ort zu fördern, um damit eine Vielfalt der Lebensentwürfe in Brandenburg sichtbarer zu machen. Zielgruppenspezifische Beratungs- und Präventionsangebote zu sexueller und seelischer Gesundheit sollen koordiniert und an die Ratsuchenden weitervermittelt werden. Landesweite Aufklärungskampagnen über nicht-heterosexuelle Lebensweisen werden unterstützt und initiiert.