Die Zahl derjenigen, die sich einen Universitätsabschluss erkaufen, erschwindeln oder zumindest in Teilen auf unerlaubte Hilfsmittel zurückgreifen, wird nicht erfasst. Ein Blick auf die Spitzenriege deutscher Politikerinnen und Politiker enthüllt zumindest die Spitze des Eisbergs. Österreich hat inzwischen mit der Novelle seines Universitätsgesetzes reagiert.
Die Gesellschaft basiert auf Leistung und Konkurrenz
Wenn wir ehrlich sind, hat wahrscheinlich jeder von uns schon einmal geschummelt oder versucht zu schummeln, um besser durch eine Prüfung zu kommen. Das Gefühl der Überforderung und die Angst zu versagen, die oft die Motivation für ein solches Verhalten sind, kennen wir ebenfalls alle aus unseren eigenen Erfahrungen. Es sind Bestandteile der Leistungsgesellschaft, die von ihren Mitgliedern erwartet, im ständigen Wettbewerb miteinander zu stehen. Und dabei fair zu bleiben. Denn nur der faire Wettbewerb kann den Aufstieg der Besten, die ihre Mitbewerber durch ihre Leistungen hinter sich lassen, gewährleisten.
Ob das Prinzip selbst fair ist und wie stark es der Realität beziehungsweise wie stark es ‘nur’ einer Idee entspricht, ist zunächst unerheblich. Unsere Gesellschaften basieren faktisch auf diesem Wettbewerb, auch wenn er nicht immer fair ist, nicht immer auf Leistung beruht und, wie insbesondere linke und sozialdemokratische Kommentatoren betonen, nicht auf den gleichen Ausgangsbedingungen aufbaut. Der Wettbewerb um die besten Schulnoten entscheidet, wer auf das Gymnasium gehen darf und dort entscheiden die besten Noten darüber, wer was studieren darf.
Im Studium geht der Konkurrenzkampf weiter, denn die Abschlussnoten entscheiden, auf welche Stellen man sich mit welchen Chancen bewerben kann. Hier kommt ein zweiter Aspekt zur Fairness hinzu: Die Studienabschlüsse bescheinigen die Geeignetheit für den späteren Beruf. Niemand möchte von einem Arzt behandelt werden, der seinen Abschluss gekauft hat, kein Politiker sollte von einem Wissenschaftler beraten werden, der seine Leistungen verfälscht hat und kein Techniker, der sich durch die Prüfungen geschummelt hat, sollte Verantwortung über gefährliche Maschinen oder sensible Infrastrukturen haben.
Die Spitzenpositionen sind nur Akademikern zugänglich
Je höher man sich innerhalb der gesellschaftlichen Schichten nach oben bewegt, desto höher sind auch die Anforderungen an die Qualifikation der Stelleninhaber, desto mehr Verantwortung wird getragen und desto mehr sind Akademiker unter sich. Aufgrund der Bedeutung, die diese Funktionseliten für die Entwicklung der restlichen Gesellschaft haben, sollte der Rekrutierungsprozess zumindest im Großen und Ganzen den Anforderungen an einen fairen Wettbewerb genügen. Darauf basiert nicht nur die Gerechtigkeit, sondern auch das Funktionieren des Stellenmarkts und die Qualität der Arbeit.
Universitäten und Fachhochschulen haben insofern eine besondere gesellschaftliche Verantwortung, da nur sie das Funktionieren des akademischen Wettbewerbs garantieren können. Umso schwerer wiegt es, wenn diese Institutionen versagen oder systematisch hintergangen werden. Einige Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit sorgen jedoch für Zweifel, ob die Hochschulen ihrer Funktion noch in ausreichendem Maße nachkommen können, oder ob das System defekt ist.
Die österreichische Bundesregierung hat reagiert
Neben der Unterfinanzierung der Hochschulen und dem Zeitdruck, der durch die Bologna Reformen innerhalb der neuen Studiengänge entstanden ist, konzentriert sich die Fehlersuche vor allem auf täuschendes beziehungsweise wettbewerbsverzerrendes Verhalten der Studierenden und Absolventen. Die österreichische Bundesregierung hat bereits im vergangenen Jahr mit der Novellierung ihres Universitätsgesetzes, welche zum Beginn des Wintersemesters 2022/23 voll wirksam geworden ist, versucht, auf einige Missstände zu reagieren.
Die Novelle sieht vor, dass Plagiate künftig einheitlich und geregelt sanktioniert werden, sie verbietet die Vermittlung von Doktorvätern gegen Geld und sie stellt das Ghostwriting unter Strafe. Überhaupt nicht behandelt werden hingegen mögliche Verstöße gegen die Prüfungsordnungen, durch die Einnahme leistungssteigernder Substanzen. Plagiate und die Abgabe von Texten, die nicht die eigenen sind, sollen in Zukunft einheitlich und konsequenter verfolgt werden.
Verstöße gegen die jeweiligen Prüfungsordnungen und eventuelle Strafbarkeit wegen Betrugs stellten Ghostwriting und Plagiate schon vor der Novelle dar. Nun ist zusätzlich auch die Dienstleistung des Ghostwriters unter Strafe gestellt. Gewerbsmäßiges Ghostwriting kann seither mit einer Geldstrafe bis zu 65.000 Euro belegt werden. Privates Ghostwriting soll demnach immer noch mit bis zu 25.000 Euro Strafe bewehrt sein. Doch die Verbote haben wenig Wirkung.
Ghostwriting ist schwer zu erfassen
Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen haben Universitäten und Hochschulen große Probleme herauszufinden, ob eine Studien- oder Abschlussarbeit von einem Ghostwriter oder von dem Studenten, der die Leistung für sich reklamiert, geschrieben wurde. Zum anderen können Ghostwriter-Agenturen das Verbot kaum umsetzen, da ihre Kunden schlichtweg verschleiern, dass sie die Dienstleistung für das Studium an einer österreichischen Hochschule einkaufen.
Selbst wenn den Agenturen die technischen Möglichkeiten, den Wohnort ihrer Kunden besser zu erfassen, gegeben würde, hätte das nach Ansicht von Piotr Snuszka, dem Geschäftsführer der Ghostwriter-Agentur BAS – Business And Science lediglich zur Folge, dass unregulierte und schwer zu kontrollierende Agenturen, die ihren Sitz im außereuropäischen Ausland haben oder ihre Firmenstruktur gleich ganz verschleiern, das Geschäft übernehmen würden.
Er sieht die Verantwortung bei den Hochschulen, die ihre Studenten besser ausbilden und vorbereiten müssten, sodass die Nachfrage nach der nun illegalen Dienstleistung verschwindet. Dabei bieten die Ghostwriter-Agenturen tatsächlich eine ganze Palette von (auch in Österreich) legalen Dienstleistungen an, die Studierenden wirklich helfen können, in ihren Fächern besser zu werden. Von einem professionellen Lektorat oder der gemeinsamen Erarbeitung von Struktur und Fragestellung einer wissenschaftlichen Arbeit und selbst von der verpönten Musterarbeit, die dann im Zweifel als Studienarbeit abgegeben wird, könnten viele Studierende enorm profitieren.
Denn die Betreuungsquote ist in den vergangenen Jahren sowohl in Deutschland als auch in Österreich gesunken, was vor allem an der steigenden Zahl an Studierenden bei stagnierender Mitarbeiterzahl der Universitäten liegt. Eine intensive Betreuung der Studierenden und ihrer Arbeiten ist daher nicht realistisch, sollte aber zu den Grundlagen der universitären Ausbildung gehören. Man sollte davon ausgehen, dass die Mehrzahl der Studierenden, die auf einen Ghostwriter zurückgreifen, dies nicht aus böser Absicht oder Faulheit, sondern aus einer Situation heraus tun, die sie als Notlage empfinden.
Wie groß ist das Problem
Schätzungen gehen derzeit davon aus, dass rund 3,5 Prozent der Studierenden oder auch der ausgebildeten Wissenschaftler entweder durch Plagiieren, das Manipulieren von Daten oder das Abgeben einer von einem Ghostwriter geschriebenen Musterarbeit gegen die Standards guten wissenschaftlichen Arbeitens verstoßen oder verstoßen haben. Dabei dürfte die Dunkelziffer noch einmal deutlich höher liegen, denn die Vergehen sind sehr schwer identifizierbar.
Insbesondere das akademische Ghostwriting ist eigentlich nicht erkennbar, denn die zur Verfügung gestellte Musterarbeit ist kein Plagiat und entspricht in der Regel den formalen wissenschaftlichen Standards und liefert eine überdurchschnittliche Qualität. Ein Verdacht kann lediglich durch die Diskrepanz zwischen sehr guten schriftlichen Arbeiten und weniger guten mündlichen Leistungen oder Leistungen in Klausuren aufkommen. Als Nachweis reicht dies jedoch noch nicht. Ein solcher Verdacht kann außerdem nur entstehen, wenn der Betreuer die Studierenden kennt und ihre Arbeiten intensiv betreut, womit wieder der Anfang des Problemkreises erreicht wäre.
Lehrende und Ghostwriter sind sich im Prinzip einig, dass die Betrugsfälle nur durch eine bessere Betreuung, speziell im Bereich des Schreibhandwerks und der wissenschaftlichen Argumentation, angegangen werden können. Damit läge die Verantwortung wieder bei der Politik, die die Hochschulen mit mehr Personal ausstatten müssen, anstatt unwirksame Verbote auszusprechen.