Das Fischsterben in der Oder forderte bisher nach verschiedenen Einschätzungen bis zu 400 Tonnen toten Fisch. Polens Wasserbehörde hat unterdessen in einer Mitteilung veröffentlicht, über 280 illegale Abflüsse in die Oder entdeckt zu haben. Was in welcher Menge dort eingeleitet wurde konnte bisher nicht festgestellt werden. Es gibt aber auch Hoffnung, zwischen den toten Fischen entdeckte der Anglerverband auch lebende Jungfische.
Hohe Säurekonzentration nachgewiesen
Bei einer aktuellen Untersuchung der (Rückstell)Proben aus dem automatischen Wassergütemessnetz vom 7. bis 9.8. wurde durch das Landeslabor Berlin/Brandenburg ein Pestizid mit dem Wirkstoff 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure gefunden. Die Werte übersteigen die Höchstgrenze der Umweltqualitätsnorm (1 µg/l) am 8.8. (9,14 µg/l). Am Vortag wurden 6,41 µg/l, am Folgetag 4,28 µg/l gemessen. Die Jahresdurchschnitt-Umweltqualitätsnorm beträgt 0,2 µg/l.
Der Zwischenbefund wird wie alle weiteren Ergebnisse der beim Bundesumweltministerium/Umweltbundesamt gebildeten Expertengruppe übergeben. Ebenso gehen die Ergebnisse routinemäßig an das Landeskriminalamt. Es ist davon auszugehen, dass die in Frankfurt (Oder) gemessenen Pestizidanteile hier bereits stark verdünnt sind und ggf. an anderen Stellen im Oberlauf der Oder in höheren Konzentrationen vorhanden waren. Die Überschreitung der Werte über mehrere Tage hat mit Sicherheit einen Effekt auf die Biozönose (Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen) gehabt, insbesondere auf Makrophyten (Wasserpflanzen). Es ist davon auszugehen, dass die hier nachgewiesene Dosis keine tödliche für Fische unmittelbar ist. In welchem Zusammenhang das Pestizid mit den gefundenen Algen, die ein Fischgift produzieren, stehen, wird noch untersucht. Es ist weiter davon auszugehen, dass es sich um ein multikausales Ereignis handeln könnte.
Die weiteren Ergebnissen vom 19.8. bestätigen im Großen und Ganzen die bisherigen Erkenntnisse, die Werte haben sich auch in den weiteren Proben nicht verschlechtert : Für alle organischen Funde wurden die Grenzwerte eingehalten. Auch die Metallwerte erreichen weiter nicht den akut toxischen Bereich. Am Oder-Grenzübertritt (Lomy) ist die elektrische Leitfähigkeit, die im Zusammenhang mit hohen Salzfrachten, immer noch erhöht. Auch die Chlorophyll-Werte in Frankfurt (Oder) bleiben hoch. Die Befunde der bislang in Brandenburg unauffälligen Algen, die Fischgift absondern, werden weiter ausgewertet.
Polnische Wasserbehörde entdecken 280 illegale Abflüsse in die Oder
Präsident Woś, Präsident der polnischen Wasserwirtschaftsbehörde sagte in einem Statement seiner Behörde, dass mehr als 280 Abflüsse zur Oder entdeckt wurden, die keine gültige wasserrechtliche Genehmigung haben. In Polen haben von über 17.000 identifizierten Verkaufsstellen über 1.400 keine Wassergenehmigung – fügte der Präsident hinzu.
Er verkündete Investitionen in die Erhöhung des Hochwasserschutzes in den Einzugsgebieten der Oder und der Weichsel durch ein Programm, das aus Mitteln der Weltbank, der Bank des Europäischen Entwicklungsrates, des Operationsprogramms Infrastruktur und Umwelt und des Staatshaushalts durchgeführt wird. Dies sind Investitionen – unter Berücksichtigung des gesamten Programms – von mehr als 5 Mrd. PLN, und an der Oder selbst werden Aktivitäten von mehr als 3 Mrd. PLN durchgeführt – sagte der Präsident von Woś,
Das Forum Natur Brandenburg e.V. äußert sich dazu: “Die bisherige Ursachenforschung des Fischsterbens legt nahe, dass auf polnischer Seite Genehmigungen von Einleitungen in die Oder leichtfertig erteilt bzw. diese geduldet wurden. Bereits im Jahr 2004 wurde auf private Initiative hin entlang der Oder dazu recherchiert. Rund 25 km nordöstlich von Breslau wurde man fündig. In unmittelbarer Nähe zu einem Chemieunternehmen wies das Wasser eines in die Oder mündenden Grabens starken Phenolgeruch auf. In einer vor Ort entnommenen und in einem deutschen Labor untersuchten Wasserprobe wurde damals ebenfalls die Substanz 2,4-D mit einer Konzentration von 2,157 mg/l (1mg = 1000 μg) nachgewiesen. Eine daraufhin in Deutschland erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt verlief seinerzeit jedoch im Sande. Die aktuell im Zusammenhang mit dem Fischsterben bei Frankfurt (Oder) ermittelte Konzentration liegt deutlich niedriger. Der Nachweis deutet aber darauf hin, dass sich am Umgang mit solchen Einleitungen seither wenig geändert hat.“
Dr. Sabine Buder, Geschäftsführerin des Forum Natur Brandenburg: „Angesichts der dramatischen Bilder vom noch immer anhaltenden Fischsterben entlang der Oder sind Äußerungen der polnischen Umweltministerin, Anna Moskwa, nur schwer zu ertragen. Aufgrund der Betroffenheit zweier EU-Mitgliedstaaten und eines europäischen Schutzgebietes ist es geboten, dass die EU-Kommission eine vollumfängliche und transparente Aufarbeitung vornimmt. Die Messergebnisse und die deutliche Überschreitung des Grenzwertes sind Fakten. Es liegt ausdrücklich in der politischen Verantwortung der Umweltministerin Polens, den Ursprung dieser Grenzwertüberschreitung ermitteln zu lassen, die Einleitung dieser Substanz in die Oder unverzüglich zu stoppen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.“
„Auch fast vier Wochen nach dem Beginn des massiven Fischsterbens in der Oder gibt es bei der Suche nach den Ursachen nur wenige greifbare Ergebnisse. Das Ablassen eines Sammelbeckens mit salzhaltigen Abwässern in die Oder und der wiederholte Nachweis der Substanz 2,4-D deutlich oberhalb des zulässigen Grenzwertes sind wahrscheinlich nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisberges. Wir fordern vor diesem Hintergrund die Einrichtung eines auch öffentlich einsehbaren Oder-Katasters, in dem die Anrainerstaaten alle genehmigten Einleitungen in den Fluss mit den relevanten Details zu Art, Umfang und Zeitraum der Einleitung hinterlegen“ sagt Andreas Koppetzki, Hauptgeschäftsführer des Landesanglerverbandes Brandenburg und Vizepräsident des Landesfischereiverbandes Brandenburg/Berlin.
„Polens Umweltministerin steht mit ihren Aussagen zu Recht in der Kritik. Sie möchte augenscheinlich vom Versagen ihres eigenen Hauses und ihrer politischen Verantwortung ablenken. Dazu möchte sie sich nun hinter den Landwirten verstecken. Bedauerlicherweise verwendet auch unser Ministerium in der Presse denselben Zungenschlag. Im Zuge der Aufklärung der Ursachen des Fischsterbens in der Oder fordere ich daher von meinem zuständigen Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt- und Klimaschutz (MLUK) in Brandenburg dessen uneingeschränktes Einstehen für die Landwirtschaft sowie eine klarere Differenzierung der Ursachen von Einträgen. Die Landwirtschaft darf nicht wieder als diffuse Quelle von industriellen Schadstoffen deklariert werden.“ so Henrik Wendorff der Präsident des Landesbauernverbandes in Brandenburg.
Jungfische beobachtet. Hoffnung in der Oder
Erste Untersuchungen zum Zustand des Fischbestandes machen Hoffnung. Wissenschaftler des Instituts für Binnenfischerei Potsdam-Sacrow (IfB) konnten bei einer Probebefischung am 19. August 2022 in der Oder bei Brieskow-Finkenherd eine Vielzahl lebender Fische nachweisen. Mittels Elektrofischerei, bei der die Fische mit schwachen Stromstößen nur kurzzeitig betäubt und dann wieder freigelassen werden, konnten sie in der Oder augenscheinlich gesunde Exemplare der Arten Blei, Hecht, Döbel, Barsch, Bitterling, Gründling, Steinbeißer, Schmerle, Güster, Plötze und auch Flusskrebse in verschiedensten Altersstufen nachweisen. Auch weitere Wasserorganismen wie Dreikantmuscheln oder Bachflohkrebse sind in der Oder unterwegs und wirken gesund.
„Schon kurz nach dem Fischsterben haben wir zwischen den verendeten Fischen Jungfische beobachtet, denen scheinbar gar nichts passiert ist. Die Ergebnisse des Probefischens bestätigen, dass Fische überlebt haben. Das sind nach den letzten beiden Wochen erstmals gute Nachrichten für Fischer und Angler“, so Fischwirtschaftsmeister Henry Schneider, der zugleich Mitglied im Präsidium des Landesfischereiverbandes Brandenburg/Berlin ist. „Seit fünf Generationen fischt unsere Familie schon auf der Oder und wir möchten gerne, dass auch die sechste Generation unsere Arbeit fortsetzt. Gemeinsam mit anderen Fischern und den Anglern auf deutscher und polnischer Seite haben wir für den reichen Fischbestand in der Oder gesorgt. Es ist wirklich bitter, wenn ein großer Teil der von uns allen gehegten Fischfauna dann plötzlich tot auf dem Wasser treibt.“
Andreas Koppetzki, Hauptgeschäftsführer des Landesanglerverbandes Brandenburg und Vizepräsident des Landesfischereiverbandes, ergänzt: „Dass Fische und auch andere Wasserorganismen in der Oder überlebt haben, ist endlich eine gute Nachricht, die Hoffnung macht. Aber es bedarf weiterer Untersuchungen, um den Zustand der Fischbestände und der gesamten Artengemeinschaft wirklich einschätzen zu können. Denn die entstandenen Schäden sind angesichts der Massen verendeter Fische leider sehr groß. Und der Fischbestand ist nur ein kleiner Teil der ursprünglich erfreulich großen Artenvielfalt in der Oder. Die heutigen Ergebnisse sprechen dennoch für eine eher rasche Erholung dieses sensiblen Ökosystems.“
Hintergrund
Am 17. August 2022 betraute der Minister für Infrastruktur Krzysztof Wosi mit den Aufgaben des Präsidenten der polnischen Wasserwirtschaftsbehörde.
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