Aus für Reform. Geywitz geht. Reaktionen aus dem Land
Gestern Abend wurde bekannt, dass der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) möglicherweise nach seinem Urlaub, die geplante Kreisgebietsreform stoppen will. Nachdem er heute seine Amtsgeschäfte wieder aufgenommen hatte gab er bei der Zukunftstour Heimat in Meyenburg (Prignitz) Auskunft zu den Gerüchten: „Es wird im November im Landtag keine Abstimmung (Anm. d. Red.: über die Kreisgebietsreform) geben. Das passiert vor allen Dingen in Auswertung der Anhörung, die gezeigt hat, dass die kommunale Ebene diese Reform in der jetzt vorliegenden Form nicht mitträgt. Und das erfolgt aus Verantwortung für dieses Land. Wir werden das Geld, das jetzt zur Verfügung steht (400 Millionen Euro) einsetzen für: Investitionen in Infrastruktur speziell im ländlichen Raum, wir werden Kooperationen und Fusionen fördern sowohl auf Gemeinde-, als auch auf Landkreisebene und wir wollen zusätzliche Aufgaben von der Landkreisebene auf die städtische/kommunale Ebene übertragen“. Unterdessen zieht die Entscheidung auch erste personelle Konsequenzen nach sich: SPD-Generalsekräterin Klara Geywitz gibt ihr Amt auf. Darauf hat sie sich mit SPD-Chef Woidke verständigt. Demnach soll es eine andere Lösung für die Brandenburger SPD geben. Geywitz galt als strikte Verteidigerin der Reform.
Die Reaktionen folgten prompt:
Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD): „Politik kann nur erfolgreich sein, wenn die kommunale Ebene und die Menschen im Land mitgenommen werden. Es ist richtig, das Projekt Verwaltungsreform neu aufs Gleis zu setzen, denn die Vorbehalte und Widerstände sind immer größer geworden. Die Anhörungen haben gezeigt, dass hier noch mehr Diskussionsbedarf besteht. Eine Reform kann nur erfolgreich sein, wenn sie im Ergebnis auch vor Ort umgesetzt wird. Für das Gelingen ist daher der Schulterschluss mit den Kommunen wesentlich. Die kommunale Familie hat immer wieder betont, für eine Reform der Aufgabenverteilung zu sein. Der hauptsächliche Widerstand richtete sich gegen die Kreisneugliederung. Dem kommt die Landesregierung jetzt entgegen. Ich bin nach wie vor von der Notwendigkeit einer Reform überzeugt. Der Preis aber, hierfür den inneren Zusammenhalt im Land zu gefährden, erscheint auch mir zu hoch. Es ist ein Zeichen der Stärke, den Mut zu einem solchen Schritt zu haben. Wir werden die Funktionalreform jetzt mit allen Beteiligten neu diskutieren und besprechen, wie es weitergeht.“
Holger Kelch, Oberbürgermeister der Stadt Cottbus (CDU) im Video:
Harald Altekrüger, Landrat des Landkreises Spree-Neiße (CDU): „Bereits im Frühjahr dieses Jahres habe ich dafür plädiert, die gesamte Diskussion über die Kreisgebietsreform auf „Null“ zu setzen. Umso mehr freut es mich, dass die Landesregierung nun endlich eingesehen hat, dass die Gegenargumente der Kritiker schlicht und ergreifend die besseren sind und dass der immer größer werdende Protest der Bürgerinnen und Bürger nicht grundlos ist. Vor allem letztere sind nun die großen Gewinner, denn mit der fallengelassenen Gesetzesvorlage wäre eine bürgernahe und effiziente Verwaltung nicht mehr möglich gewesen. Die großen Verlierer hingegen sind alle Mitglieder der rot-roten Landesregierung, die viel zu viel Zeit und Geld mit der Ausarbeitung eines von Anfang an zum Scheitern verurteilten Gesetzesvorhabens verschwendet haben. Ein solches auf Biegen und Brechen durchdrücken zu wollen, ohne die Bürgerinnen und Bürger und Vertreterinnen und Vertreter der Kreise und Kreisstädte mitzunehmen, konnte einfach nicht funktionieren. Das zunächst angedach te, willkürliche Zusammenlegen von Kommunen zu überdimensionierten Kreisen oder das später angedachte, ebenso willkürliche Schaffen von keinesfalls leitbildgerechten Verwaltungseinheiten und die zahllosen dabei offengebliebenen Fragen, um deren Beantwortung sich die Landesregierung sehr lange mit einer unglaublichen Ignoranz gedrückt hat, mussten ganz einfach zu Widerstand führen, durch den das rot-rote Vorhaben nun kolossal gescheitert ist. Ich hoffe sehr, dass beim nächsten Anlauf zu einer Kreisgebietsreform auf die Argumente der Kritiker eingegangen wird und das dabei mehr auf interkommunale Zusammenarbeit geachtet und auch an einer Funktionalreform gearbeitet wird, die diesen Namen verdient.“
Siegurd Heinze, Landrat des Landkreises Oberspreewald-Lausitz (parteilos, für CDU): „Eine klare und mehrheitliche Ablehnung aller kommunaler Ebenen – zuletzt auch innerhalb der stattgefundenen Anhörungen im Innenausschuss, ein entschiedenes Nein seitens vieler Bürger: Brandenburg hat in den vergangenen Monaten ein deutliches Zeichen gesetzt und aufgezeigt, an welchen Stellen es bei den Plänen zur Funktionalreform bzw. Kreisneugliederung hakt. Auch der Kreistag OSL hat diesbezüglich entschieden und mit breiter Mehrheit Position bezogen. Mit der gestern offiziell bekannt gegebenen Entscheidung des Ministerpräsidenten geht die Landesregierung einen anerkennenswerten Schritt. Die Reform in der angedachten Fassung zu beenden, ist aus meiner Sicht zum jetzigen Zeitpunkt jedoch einzig folgerichtig. Warten wir ab, wohin der weitere Weg führen wird. Wichtig ist dabei, an Richtiges anzuknüpfen: Beispielsweise, um eine solide Grundlage für die geplanten und durchaus sinnvollen Aufgabenübertragungen vom Land hin zu den untergeordneten Verwaltungen zu schaffen. Darüber hinaus ist auch über Kooperationen zwischen den Landkreisen zu diskutieren. Wir werden uns über den Landkreistag in diesen Prozess der Veränderung mit dem Land auch weiterhin konstruktiv einbringen.“
Dr. Dietlind Tiemann (CDU), ehemalige Oberbürgermeisterin von Brandenburg/Havel und jetzige Bundestagsabgeordnete: „Der Versuch, gegen die Bürger und die kommunale Familie zu regieren, hat sein konsequentes Ende gefunden. Das Aus der Kreisgebietsreform ist eine gute Nachricht für alle Brandenburgerinnen und Brandenburger. Der Versuch, gegen die Bürger und die kommunale Familie zu regieren, hat sein konsequentes Ende gefunden. Das Scheitern von Ministerpräsident Dietmar Woidke ist zugleich ein Lehrstück für ziviles Engagement und eine lebendige Demokratie, in welcher die Bürger den falschen Kurs ihrer Regierung korrigieren. Die Städte und Gemeinden haben in einem breiten Bündnis mit Zusammenhalt bewiesen, dass die Antworten auf diese Fragen nur durch Kooperation anstelle von Konfrontation gefunden werden können. Als Oberbürgermeisterin außer Dienst weiß ich, dass die Herzkammer der Politik vor Ort schlägt. Die Landesregierung ist in der Pflicht, dass die kommunale Familie nicht mit unerklärbaren Strukturvorhaben belastet, sondern durch echte Unterstützung entlastet wird.“
Dr. Martin Wilke (parteilos), Oberbürgermeister Frankfurt/Oder: „Der Stopp der Kreisgebietsreform ist ein folgerichtiger Schritt. Es ist eine vernünftige Entscheidung im Interesse unseres Landes. Diese Entscheidung des Ministerpräsidenten findet meinen Respekt. Die umfangreichen Debatten und Diskussionen haben gezeigt, dass die Bereitschaft zur Veränderung im Land Brandenburg vorhanden ist und die Bürgerinnen und Bürger mitgestalten wollen. Wir sind bereit, jetzt und in Zukunft das Land aktiv mitzugestalten“.
Dagmar Püschel (Linke), Bürgermeisterin von Eisenhüttenstadt: „Ich begrüße diese Absage und finde es gut, dass es nun Überlegungen zu einer Funktionalreform geben soll. Die für die Kreisgebietsreform eingeplanten finanziellen Mittel sollen sinnvoll eingesetzt werden. Ein guter Reformationstag für Brandenburg.“
BVB / FREIE WÄHLER begrüßt den Entschluss des Ministerpräsidenten zum Stopp der Kreisreform. “Das geplante Gesetzesvorhaben hat sich in den vergangenen Monaten nicht nur politisch sondern auch fachlich selbst überholt. Vor genau einem Jahr startete die Unterschriftensammlung für die Volksinitiative. Seitdem haben nicht nur zigtausende Brandenburger Bürger sondern immer mehr Kreistage, Gemeindevertretungen, Personalräte und andere fachlich versierte Gremien ihre Ablehnung kundgetan. Wir plädieren dafür, das für die Umsetzung der Kreisreform vorgesehene Geld in einen Aktionsfonds für Landesstraßenbau und Breitbandversorgung im ländlichen Raum zu stecken. Ein zeitnaher, binnen 3 Jahren zu realisierender Investitionsschub in diesem Bereich wird vor allem die berlinfernen Regionen wettbewerbsfähiger machen.”
Axel Graf Bülow, Landeschef der FDP Brandenburg: „Das einzige ernsthafte Projekt der Rot-Roten Landesregierung in dieser Legislaturperiode ist krachend und mit Ansage gescheitert. Nun zieht Ministerpräsident Dietmar Woidke endlich die Reißleine und sagt die verkorkste Kreisgebietsreform ab. Damit ist die von der FDP-Brandenburg unterstützte Volksinitiative “Bürgernahes Brandenburg“ auf ganzer Linie erfolgreich. Es bleibt abzuwarten, ob die nunmehr angekündigte “mildere“ Reform keine Mogelpackung ist. Für offenes Lob ist es deshalb noch zu früh. Aber eines steht seit heute fest: Rot-Rot hat abgewirtschaftet und in den zurückliegenden Jahren hunderttausende Euro Steuergeld für ein Reformvorhaben verpulvert, das in dieser Form von Anfang an niemand haben wollte. Unser Land braucht nun die Chance auf einen Neuanfang. Ohne Ministerpräsident Dietmar Woidke und mit einer neuen Landesregierung.”
Ingo Senftleben, Fraktionsvorsitzender der CDU: „Auf den Tag genau vor einem Jahr hat sich die Volksinitiative auf den Weg begeben, um die geplante Kreisreform zu stoppen und Bügernähe zu erhalten. Heute wurde das erste dieser beiden Ziele erreicht. Das ist ein großer Erfolg der Bürger, die diese Volksinitiative unterstützt haben. Jetzt werden wir uns auf den zweiten Teil, den Erhalt der Bürgernähe, konzentrieren. Unser Anspruch sind gleiche Lebensbedingungen in ganz Brandenburg. Woidke ist nun schon an seiner dritten Reform gescheitert. Erst Forstreform, dann Polizeireform, nun Kreisreform – Woidkes Weg ist von gescheiterten Projekten gepflastert. Für Brandenburg sind wichtige Jahre verloren gegangen, in denen sich die Regierung mit Dingen beschäftigt hat, die schlecht fürs Land sind. Wichtige Entwicklungen, wie der Nahverkehr, die Landesplanung und der Ausbau von Internet und Mobilfunk sind dabei verschlafen worden. Acht Jahre SPD-Linke-Regierung in diesem Land, sind verlorene Jahre. Stattdessen wären Perspektiven für die Menschen in Stadt und Land, gute Ideen für die Zukunft Brandenburgs und damit der Zusammenhalt der Gesellschaft, Aufgabe der Politik gewesen.“
Klaus-Peter Schulze (CDU), Mitglied des Bundestages: „Was wir als CDU und auch andere seit Jahren gepredigt haben, ist nun endlich auch bei der Landesregierung angekommen. Die Kreisgebietsreform war eine Kopfgeburt, die nicht auf die Bedürfnisse der Menschen einging und die durchaus notwendige Neustrukturierung der Verwaltung ignorierte. Das umfassende Engagement der Bürgerinnen und Bürger sowie die tausendfache Absage an die Kreisgebietsreform haben schließlich bei den Sozialdemokraten ihre Wirkung erzielt.“
Prof. Dr. Michael Schierack (CDU), Landtagsabgeordneter in Brandenburg: „Die heutige Entscheidung von Ministerpräsident Woidke, die Kreisgebietsreform zu stoppen, war mehr als überfällig. Dieser Schritt ist in erster Linie ein Verdienst der vielen Brandenburger Bürgerinnen und Bürger sowie der gesamten „kommunalen Familie“ im Land, die sich geschlossen gegen den Gesetzentwurf der rot-roten Landesregierung zur Kreisgebietsreform gestellt haben. Ich möchte mich insbesondere bei allen Cottbusern bedanken, die sich aktiv für die Kreisfreiheit eingesetzt haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass die heutige Vernunftentscheidung von Dr. Woidke noch personelle Konsequenzen an der Brandenburger SPD und LINKE sowie an der Regierungsspitze nach sich ziehen muss.”
Mike Bischoff (SPD), Vorsitzender der SPD-Fraktion und Daniel Kurth, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Brandenburger Landtag: „Die Fraktion hat heute in einer Telefonkonferenz über den Verzicht auf die Gesetzentwürfe zur Funktionalreform und zur Kreisneugliederung beraten. Es besteht große Einigkeit, dass durch die Anhörungen im Innenausschuss Mitte Oktober eine neue Lage entstanden ist. Niemand bestreitet die Notwendigkeit einer Modernisierung und einer besseren Zusammenarbeit der Kreisverwaltungen in Brandenburg, auch die Kritiker der Reform nicht. Über die geeigneten Instrumente und Wege aber gehen die Meinungen selbst in den Kommunen stark auseinander. So müssen wir anerkennen, dass in den Anhörungen eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Einwände und Bedenken vorgetragen wurden. Eine Umsetzung der geplanten Reform wäre unter diesen Umständen deutlich erschwert, ihr Erfolg weniger gewiss. Deshalb sieht die Fraktion den Verzicht auf die Gesetzentwürfe in der dem Landtag vorgelegten Form als notwendig an. Die Erfolgsgeschichte Brandenburgs seit 1990 gründet auf einer engen, vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dem Land und der kommunalen Familie. Die Voraussetzungen dafür wollen wir stärken – gerade auch, um unser übergeordnetes Ziel zu erreichen: den Zusammenhalt in ganz Brandenburg und vergleichbare Chancen in allen Regionen des Landes zu bewahren. Dies ist das wichtigste Ziel der bisherigen Reformpläne, und es bleibt unser Anspruch für die kommenden Jahre, in denen der demographische Wandel, sich ändernde finanzielle Rahmenbedingungen und die sich abzeichnende Ausrichtung der künftigen Bundesregierung große Herausforderungen für Brandenburg mit sich bringen. Wir setzen daher darauf, dass sich die nun bekundete Bereitschaft der Landkreise und Städte zur freiwilligen Zusammenarbeit bis hin zu Zusammenschlüssen als tragfähig erweisen wird. Der Ministerpräsident hat die volle Unterstützung der Landtagsfraktion bei Gesprächen über die Ausgestaltung einer solchen Lösung.“
SPD-Landtagsabgeordneter Wolfgang Roick: „Ein Haus lässt sich nicht ohne standhafte Grundmauern erbauen. Die geplante Kreisgebietsreform, also das Haus, stieß im Land auf überwältigende Ablehnung. Ohne die Akzeptanz von Landräten, Bürgermeistern und auch Bürgern lässt sich solch ein Mammut-Projekt nicht realisieren. Für die Kreisgebietsreform fehlten also die standhaften Grundmauern. Daher ist es nur folgerichtig, dass unser Ministerpräsident jetzt diesen Schritt geht. Ich selbst war bei den Anhörungen im Innenausschuss des Landtages dabei und erlebte die ablehnende Haltung unter anderem der Kommunen mit. Wie bekannt ist, gehörte ich ebenfalls zu den Kritikern der Kreisgebietsreform, da die in den letzten Wochen diskutierten Pläne aus meiner Sicht nicht die beste Lösung für die Lausitz gewesen wären. Jetzt muss es das Ziel sein, geordnet und gemeinsam einen Weg in die Zukunft zu finden, der mit stabilen Grundmauern beginnt. Im Hinblick auf die Forstverwaltung muss jetzt ein neues Konzept erarbeitet werden, das festlegt, wie die Forst zukünftig organisatorisch und personell aufgestellt sein soll. Außerdem hoffe ich, dass das nun zusätzlich zur Verfügung stehende Geld für Infrastrukturmaßnahmen auch tatsächlich schnell in den Straßenasphalt fließt und nicht durch langwierige Planungen behindert wird.“
Jürgen Maresch, Stadtverordneter Stadt Cottbus (parteilos): “Das Stoppen der Kreisreform durch den Ministerpräsident ist richtig und nachvollziehbar. Gleichwohl ist damit die rot- rote Landesregierung und Herr Woidke selbst massiv geschwächt. Es war von Anfang an Fakt, dass vor einer Verwaltungsreform eine Funktionalreform erfolgen muss. Dies wurde noch zu meiner Zeit in einem Ausschuss so festgestellt. Die rot- rote Landesregierung scheitert mit ihrem größten Vorhaben in dieser Legislatur.”