Ich habe von der Pike auf Reporter gelernt. Seit 17 Jahren arbeite ich für Radio,Zeitung, Fernsehen.
Mir braucht keiner von den jungen Hüpfern was vorzumachen.
“Geh mal in die “Gripskammer” befiehlt mein Chef. “Der Intendant dort hat angekündigt zum Ende der Spielsaison nach Bremen zu gehen, will das hiesige “Schifferklavier” übernehmen, was Neues ausprobieren; außerdem kommt er ja von der Küste.”
Dass Erste was mein Nachfolger lernen muss, ist Bilanzen zu lesen, erfahre ich im Interview. Geschäftsbücher aufschlagen, mit einem Blick schauen, wie der Laden läuft. Zahlen sind unbestechlich. Du musst wissen, ob es sich lohnt: Herzblut, Schweiß und Zeit zu investieren.
“Aber, das Spielen, die Hingabe, das sich Reinverfühlen in die Rolle… Er winkt ab: “Das bisschen Schauspielerei kommt von allein und Regisseur kann so wieso niemand lernen…
Entweder man hat es oder man hat es nicht: alles andere wird Stümperei… Kaffee? Bei den Stücken kannst du variieren: je nach Alter und Zeitgeschmack …Klassiker, ja – bisschen modern rübergebracht, aber nicht zu doll.
Beim Staatstheater rannten Schillers “Räuber” zum Beispiel in Nadelstreifenanzügen und Aktentaschen unterm Arm geklemmt über die Bühne und fummelten an den Zahlenschlössern riesiger Tresore rum … wie öde und aufgesetzt.”
Irgendwie kommen wir über das Jugendstück “Hanna und die Gänse” zu Horrorfilmen. Mich faszinieren diese Gestalten, die in der Nacht kalt und präzise handeln; leidenschaftslos, wie Reptilien, gesteht der Theaterleiter.
“Haben Sie ‘Sleep tight’ gesehen? Ein Kammerspiel in den Schluchten eines Miethauses … eigentlich ohne Schauwerte, die Eskalation entspringt banal dem Alltäglichen; kulminiert in der Nacht aber, angeheizt, zu misantrophischen Alpträumen.
Sie werden nie wieder vergessen abend’s, vor dem Schlafengehen, unter’s Bett zu schauen”, scherzt er zum Abschied. Über seine neue Anstellung mag er nicht reden.
Schade, dass der geht; einer, der über den Tellerrand guckt, egal – mein letztes Interview für lange Zeit.
Ich muss “einziehen”.
Bald schaue ich unter’s Krankenbett. Was steht dort ? Ein Nachttopf aus Emaille? Sicher nicht. Höchstens mein Koffer. Ich hab’ skurille Vorstellungen: “Sachsenklinik” , Professor Heilmann, Dr. Brentano, Schwester Arzu.
Außer zur Blinddarm – OP war ich noch nie im echten Krankenhaus.
Wie geht’s dazu? Früh Visite, den ganzen Tag rumlungern, Skat spielen, lesen, Briefe schreiben, sich mit tödlichen Keimen anstecken? 17.000 Patienten rafft’s jährlich weg. Buff, mausetot, eine ganze Kleinstadt.
Prophylaxe: eigene Seife mitnehmen, Waschlappen, Latschen, wichtig: Algentabletten.
Der erste Tag ist geschafft: Diagnostik. Jeder zweite Arzt kommt aus dem Ausland: Polen, Bulgaren, Russen, Palästinenser … sind aber alle sehr nett. Bestatter hab ich noch nicht auf den Gängen rumkurven sehen.
Abend’s ist Rauchertreff auf der Toilette. Stimmengewirr. Zittrige Hände umklammern Ständer mit Infusionsbeuteln. Manche der Schlafanzugträger sind frisch operiert , egal : Kippen glühen, Qualm umnebelt die Gesichter.
Lebens- und Leidensgeschichten werden erzählt … Schwestern durchgehechelt … Narben begutachtet … Prognosen für OP’s abgegeben … Heilchancen erörtert.
Profis unter sich. Durch das geöffnete Toilettenfenster scheint der Mond. Auf dem Klodeckel liegt eine zerfetzte Zeitung.
Eine Schlagzeile lautet: “Putsch im Krankenhaus.” Gott behüte; hoffentlich nicht hier, denke ich.
“Sleep tight” – bevor ich fest einschlafe, schaue ich unter’s Bett.
Sicher ist sicher.