Alljährlich gedenken evangelische Christen am Reformationstag neben Luthers Thesenanschlages auch an die Grundlagen des evangelischen Glaubens. Luthers Erkenntnis von der bedingungslosen Rechtfertigung des Sünders vor Gott entlastet uns davon, unser Heil selbst machen zu müssen. Wir dürfen uns Gottes Liebe und Barmherzigkeit anvertrauen und müssen sie uns nicht durch eigene Taten verdienen. Heilsgewissheit meint die Gewissheit des Glaubenden, am Jüngsten Tag von Gott gerecht gesprochen zu werden. Diese Gewissheit gründet sich auf das stellvertretende Leiden und Sterben Jesu Christi: “Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben” (Johannes 3, 16).
Martin Luther lehnte gegen Ende seines Wirkens sowohl gute Werke, wie Wallfahrten, sofern sie darauf zielen, Rechtfertigung zu erlangen, als auch die Heiligenverehrung entschieden ab, weil er darin die Gefahr sah, daß die Menschen sonst mehr Vertrauen auf die Heiligen setzen als auf Christus selbst , denn Christus allein kommt die Mittlerfunktion zwischen den Menschen und Gott zu.
Kapelle „Zur Mutter Gottes in der Heide“ auf dem Marienberg
Zum Wallfahrtswesen schreibt Rudolf Lehmann in seinem Buch „Geschichte des Markgraftums Niederlausitz“ dazu folgendes: „Als Wallfahrtsstätten im Lande erscheinen, mehr oder weniger sicher bezeugt, noch eine ganze Reihe von Gotteshäusern. Man pilgerte zu den Kapellen auf den Marienbergen bei Lübben und Groß-Kölzig, zur Wendischen Marie in Altforst, zu den Valentinskirchen von Dubrau und Preschen, zur Laurentiuskapelle auf dem Koschenberg bei Senftenberg, wohl auch zu der 1504 genannten Wolfgangskapelle bei Zieckau.“
Die Wallfahrtskapelle „Mutter Gottes in der Heide“ bei Groß-Kölzig auf dem Marienberg, war wahrscheinlich eine der ersten christlichen Kirchen dieser Gegend, in der schon mit der Christianisierung der Niederlausitz. das Evangelium gepredigt worden sein soll, die im Volksmund als „Buschmarie“ oder Puschmarie bezeichnet wurde. Der Marienberg selbst, stellt mit seinen 159 m Höhe eine auffällige Erhebung dar und ist Bestandteil des Muskauer Faltenbogens , einen bewaldeten Höhenzug, der sich deutlich von der übrigen Landschaft abhebt, und sich von Klein Kölzig über Bad Muskau bis Tuplice erstreckt.
Bis 1560 war die Kapelle „Zur Mutter Gottes in der Heide“ auf dem Marienberg an bestimmten Fest- und Heiligentagen das Ziel zahlreicher Christen, um dort die Predigten zu hören und die Messen zu erleben. Im Anschluß an die Feier wurde auf dem Platz rings um die einstige Wallfahrtskapelle ein Markt abgehalten. Die vom Marienberg östlich verlaufende mittelalterliche Handels- und Heeresstraße von Cottbus nach Muskau, hatte auch einen begünstigenden Einfluß auf die Entwicklung des Wallfahrts-Ortes. Nachweislich hat in der Vorreformationszeit Andreas Stentius aus Guben 1557 den der katholischen Kirche anhängenden Einwohnern die letzte Messe abgehalten. Die Chronik Groß Kölzigs vermerkt: „Die lutherische reine Lehre ist mit Gewalt eingegangen“, nachdem Martinus Preiser im Jahre 1561 das Amt des ersten lutherischen Predigers in der Kirche antrat. Damit war auch in Groß Kölzig die Reformation eingeführt. Damit verlor, die bedeutsame Wallfahrtskapelle, leider ihre Bedeutung und wurde später abgerissen. Das einzige was noch heute an die einstigen Wallfahrtskapelle “Mutter Gottes in der Heide” erinnert, ist gemäß der Überlieferung, der als Altaraufbau krönende Flügelaltar in der Marienkirche zu Groß-Kölzig. Er ist etwa 1530 als Nachbildung eines großen Schreinaltars geschaffen worden. In der Mitte zeigt dieser in leuchtenden Farben ausgemalte Altarschrein unter Rankengesprenge in plastischer Holzschnitzarbeit die heilige Familie um das auf einer Dockensäule stehende Jesuskind versammelt. Die Innenseiten der beiden Flügel beinhalten eine gemalte Fortsetzung dieser Darstellung, die äußeren sind leer.
Die einstige Wallfahrtskapelle “Mutter Gottes in der Heide” auf dem Marienberg ist vor allem in der Erinnerung der Menschen in Groß Kölzig, aber auch der umliegenden Dörfern geblieben, welche sich in mehreren Sagen und kurzen Erzählungen widerspiegelt und von der einen zu der nächsten Generation weiter gegeben wurde. Auch in der Heimatstube einer musealen Einrichtung am Dorfplatz in Groß Kölzig, kann man interessantes und außergewöhnliches um den legendären Marienberg mit seiner Wallfahrtskapelle erfahren.
Zukunft von Gottes „Bodenstationen“.
Zweifellos bildet die Religion eines der bedeutendsten Ideengebäude der Menschheit. Gemeinsamer Glaube fördert Kooperations- und Reproduktionsbereitschaft und wird damit zu einem entscheidenden Faktor des Fortschritts. Nachspüren kann man dieser Religion in verschiedenen Bereichen: den mythischen Landschaften und Orten der zu denen sicher der Marienberg bei Groß-Kölzig gehört. Ausgehend von den Abendmahlsworten “Tut dies zu meinem Gedächtnis!” (Lukas 22,19) wird das Christentum als “Erinnerungsreligion” definiert, dessen ‘Erinnerungsorte’ als Grundgerüst einer geistigen ‘Landkarte’ christlicher Kultur präsentiert werden, denn: “Erinnerung gehört zum Wesen des Christentums. Man muss nicht unbedingt zu den Frommen gehören, um sich Gedanken zu machen über die Zukunft von Gottes „Bodenstationen“. Verlust von historischer Bausubstanz würde auch Verlust unseres kulturellen Gedächtnisses bedeuten. Unsere kulturelle Mitte ginge verloren. Heute sind keine Visionäre mehr gefragt, um „Paläste Gottes“ zu bauen. Es gilt vielmehr, kreative Lösungen für die Rettung und Erhaltung unseres kulturellen Erbes zu finden.
Eine bemerkenswerte Ersatzlösung für abgebrochene Bausubstanz in Form einer Umkehrung -Blick zurück nach vorn -ist die „Imagination“ einem Ensemble von nachempfundenen Pfeilern und Gewölben in filigraner Stahlstruktur die ein Gefühl für die Dimensionen des Raumes, sowie dessen Sakralität der abgerissenen Kirche des Zisterzienser -Kloster von 1228 in Ihlow/Ostfriesland vermitteln.
Die Erinnerungs-Kultur nimmt in unserer Gesellschaft, so auch im Bereich des Muskauer Faltenbogens einen breiten Raum ein. Dabei wurden Symbolische, erinnerungsträchtige Orte wieder hergerichtet und seitdem gepflegt. Aber auch die Lokalität auf dem Marienberg auf dem die sowohl für die Historie des Dorfes als auch für das regionale Umfeld sehr bedeutsamen einstigen Wallfahrtskapelle, sollte unbedingt ein wichtiger Teil der lokalen Erinnerungskultur in Groß Kölzig und dem näheren regionalen Umgebung sein, die über das bloße Erzählen hinausgeht, die erfahrbar , begehbar und erlebbar ist, als ein Kristallisationspunkt christlicher Erinnerungskultur und Versöhnungsarbeit. Das beinhaltet zumindest die Aufstellung von Weg-Weisern zum sicheren Auffinden des Marienberges, eine Informationstafel auf demselbigen mit umfangreicher Darstellung zur Geschichte des Wallfahrtsortes und vielleicht auch ein Denkmal in der Form eines Manns-hohen Holzkreuzes. Mit minimalen Materialeinsatz ist die Realisierung eines solchen Vorhabens auf jeden Fall möglich. Die Frage ist nur, ob das auch gewollt ist. Aber gerade die kommunale Kulturpolitik und insbesondere die evangelische Kirche haben für Symbolträchtige christliche Erinnerungs-Orte eine besondere Verantwortung, der sie auch gerecht werden müssen.
“Wallfahren – alte Bewegung mit neuer Dynamik”
Christen aus Schwarzheide, Klettwitz und Ruhland hatten sich auf Anregung von Pfarradministrator in spiritualibus, Peter Krahl im Jahre 2010 erstmals seit langer Zeit wieder auf den Weg zum Koschenberg gemacht um gemeinsam zu beten. Es ist ein untergegangener Ort, zu dem die Wallfahrt führte. Eine Laurentius-Kapelle stand einst auf dem Koschenberg. Nach der Einführung der Reformation 1539 verlegte Kurfürst Moritz den Markt nach Senftenberg. Anschließend verfiel die Kapelle, das Material wurde zum Häuserbau verwendet.
“Es gibt Trennendes und Verbindendes in den beiden Konfessionen”, Aber eine Wallfahrt zu der ehemaligen Wallfahrtskapelle auf dem Marienberg kann durchaus eine sehr interessante Möglichkeit sein, daß evangelische wie katholische Christen miteinander ins Gespräch zu kommen können. Solch ein Ereignis mitzugestalten könnte für die evangelischen Christen, ein wichtiger Schritt für die Ökumene sein. Letztendlich gibt es keine zwingenden theologischen Gründe gegen ökumenische Wallfahrten. Sie könnten vielmehr eine Bereicherung für evangelische Christen sein. “Menschen auf einen Pilgerweg machen spirituelle Erfahrungen. Das ist eine Chance für die Kirchen, die sie nutzen sollten.” Selbst Luther wuchs noch ganz in der Tradition der Heiligenverehrung auf, und hielt selbst noch lange Zeit Marienpredigten und schätzte in seinen Auslegungen Maria als Beispiel menschlicher Demut und Reinheit. Darum wird eine gewisse Form von Marienverehrung in manchen lutherischen Kirchen geübt.
Auch für manche evangelische Christen bringen Reisen zu Kirchentagen oder zu Stätten der Reformation den Wallfahrten vergleichbare Erfahrungen. In den letzten Jahrzehnten haben es Christen gemeinsam wieder entdeckt: Sich auf den Weg machen, auf den eigenen Füßen und mit anderen zusammen zu Gott hin Unterwegs-Sein – das tut Dem Leib, der Seele, dem Glauben gut.
Wer auf eine Wallfahrt geht, zeigt öffentlich, daß er gläubig ist. Er unternimmt eine spirituelle Reise, man kennt auch den Ausdruck: “Beten mit den Füßen” – und der Wallfahrer hat meistens ein Anliegen für sich, oder Angehörige und Freunde, das er betend zu seinem Ziel trägt, mit der Intention, Erhörung und Lösung zu finden. In Jesaja, 2,2 f. wird eine Vision der Wallfahrt aller Völker zum Berg Zion beschrieben: “Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort.” Alle Völker sind unterwegs, auf Wallfahrt zur endgültigen Gemeinschaft mit Gott.