Eine bessere und nachhaltigere Präsentation der einstigen heimlichen Hauptstadt der Niederlausitz Luckau kann man sich wohl kaum vorstellen. Und so kamen die weit über 100 Gäste, es können auch 150 gewesen sein, nicht nur aus Türen und Tore der Luckauer Häuser, sondern teilweise auch von weit her, obwohl die „Bekanntgabe“ dieser Nachtwächterrunde gegenüber der ansonsten horrende Summen verschlingenden Werbung für so genannte Superstarts sehr bescheiden war. Auch wir, Die Niederlausitzer Wandergurken, machten uns von Lübbenau aus auf den Weg, um den beiden „Nachtarbeitern“ unsere Ehrerbietung zu machen. Frank Selbitz kannten wir ja schon von seinen Runden in Lübben.
Schlag 9 Uhr abends kam er dann auch gemächlichen Schrittes aus Richtung Calauer Vorstadt zum Roten Turm, mit langem schwarzen Mantel, großem Hut, Hellebarde, Signalhorn und Laterne – natürlich mit dem wohl allen bekannten Spruch: „Hört ihr Leute, lasst euch sagen, die Uhr hat grade neun geschlagen“. Damit hat er auch gleich auf eine seiner wichtigen Nebenfunktionen hingewiesen – das Ausrufen der Zeit, denn Radio und Fernsehen gab es noch nicht und eine Uhr hatten die Wenigsten. Hier am Roten Turm, so genannt wegen der roten Backsteinziegel, mit denen er einst gebaut wurde, musste er seinem Gastgeber, Nachtrat Kölling, mit einem lang anhaltenden lauten Hornesruf sein Kommen erst ankündigen, denn der konnte nicht so schnell, ging wahrlich am Stock. Ja, ja – die vielen Runden des nachts jahraus, jahrein, treppauf, treppab – fordern irgendwann ihren Tribut… Aber die erwartungsfrohe Runde hatte dafür wohlwollendes Verständnis. Weit hatte er es ja nicht, ist doch sein Domizil im früheren Kommandantenhaus gleich gegenüber dem Roten Turm – einst wohl so genannt, weil hier auch mal der Direktor des Frauengefängnisses seine Wohn- und Arbeitsräume hatte. Dieses gibt es schon lange nicht mehr und auch vom Cottbuser Tor, dem einstigen Bollwerk gegen die französische Angreifer unter Napoleon 1813, ist außer dem Roten Turm nichts mehr übrig…
Zwischen Stadtgraben und Stadtmauer machten sich alsbald beide auf den Weg durch die Südpromenade, gefolgt von der großen Schar interessierter Zuhörer. Die Leute erfuhren, dass das Wasser der Berste genutzt wurde und auch heute noch genutzt wird für den Stadtgraben, über den einst wohl auf 13 Brücken die Leute aus der Stadt ins Umland kamen. Sehr anschaulich die Erläuterungen von Nachtrat Kölling zum einstigen Schützenplatz mit Schützenhaus und Schützenzelten, die dann beim Bau des Busplatzes weichen mussten. Interessant zu hören auch die Rolle und Funktion der Schützengilde der Stadt, die es schon im 16. Jahrhundert gab. Immer mehr brach über uns die Dunkelheit herein, so dass die Straßenlaternen am Mönchshof die sonst weißen Fassaden in einem stimmungsvollen gold-gelbem Licht erstrahlen ließen. Und auch die prachtvollen Gärten zwischen Stadtgraben und Mauer ließen im Schein der Laternen erahnen, wie schön es wohl hier am Tage ist.
Für viele neu war die Bedeutung des einstigen Mönchshofes als Handelsplatz der Mönche des Klosters Dobrilugk. Auf einmal fing es leicht zu tröpfeln an. Alle wussten gleich, warum es nun doch sooo schnell dunkel wurde. Nachtwächter Selbitz hatte für den aufkommenden Regen gleich das passende Sprüchlein parat wie übrigens an anderen Örtlichkeiten und Begebenheit auch in der nun nächtlichen Stadt. Sozusagen als Dank hörte der Regen dann auch bald wieder auf, auf dem alten Straßenpflaster am Sandoer Tor einen feuchten Glanz hinterlassend, der besonders die Fotografen verzückte. Viel zu schnell waren wir vorbei am Fachwerkhaus Nr. 5 in der Lindenstraße, in dem wohl einst Orgelbaumeister Eduard Glietsch wohnte, dessen Schaffen in der heutigen Zeit durch die Orgelkonzertreihe „Mixtur im Bass“ auch viele Jahre nach seinem Tod eine dankbare Würdigung erhält. Einen Halt gab es auch gegenüber dem Niederlausitz-Museum (derzeit wegen Umzug geschlossen) vor der Gaststätte Hartich, einem ganz altehrwürdigen Haus. Freundlich brachte die Wirtin einen Korb mit kleinen Fläschchen „Naturmedizin“ raus, der auch im Nu leer war. Nun aber in der schmalen Gasse hinter dem Museum, nahm dann Nachtwächter Selbitz den großen Hut ab, um seinem neugierigen Gefolge Dank abzustatten und um einen kleinen Obolus zu bitten, denn er hatte vergessen, die „Medizin“ bei der Wirtsfrau in der Gaststätte zu bezahlen und Zechprellerei wurde damals hart bestraft…
Die Zeit verging wahrlich wie im Fluge und schon bald waren 1½ Stunden um. Auf der Rathaustreppe bedankte er sich bei seinem Gastgeber nochmals für die Einladung und versprach, am 13. September 2008 wieder zu kommen, wenn er vom Nachtrat Kölling wieder eingeladen wird, um mit ihm gemeinsam am Vorabend des Tages des offenen Denkmals zur Kellernacht erneut die Nachtwächterrunde zu machen. Dann allerdings auf einer anderen Wegstrecke, wie er ausdrücklich betonte. Mal sehen, wie dann der Ruf lauten wird. „Hört ihr lieben Leute, lasst euch sagen, die Uhr hat grade 10 und 22 Minuten abends geschlagen“ – das gab es wohl so auch früher nicht, den Minuten wurden nicht ausgerufen. Aber das ist genau die Zeit, zu der die Runde beginnen wird: 22.22 Uhr…
Bliebe hier noch, auf die Frage einzugehen, wieso ein Nachtwächter aus Lübben seinen Dienst gelegentlich in Luckau versieht. Das beantwortete Frank Selbitz vor Ort in Luckau gleich am Anfang der Runde.
Es gab da mal vor längerer Zeit eine Frage vom Luckauer Stadtoberhaupt Bürgermeister Harry Müller. Und da kam wieder einmal der Sprachfehler des Frank Selbitz zutage: Er kann manchmal nicht nein sagen…
Die meisten seiner Gäste kennen ihn nur als Nachtwächter – nicht wissend, das er in seiner Heimatstadt Lübben vor allem ein hohes Ansehen als Lehrer und Stadtverordneter genießt. So „nebenbei“ betreibt er in Blumenfelde auch noch die Wetterstation in Lübben, treibt Sport, schreibt für die Zeitung und nachtwächtert gelegentlich und immer öfter. Näheres dazu im Internet unter www.spreewaldnachtwaechter.de , z.B.:
„Nachtwächterrundgänge
Der Nachtwächter lädt ab Karfreitag 2008 immer montags, mittwochs und freitags ab 21.30 Uhr zu seinen Rundgängen ein. Treffpunkt ist am Trutzer in der “Nachtwächterstube.
Lübbens Nachtwächter, Frank Selbitz, unterhält Sie während eines ca. 100 minütigen Rundgangs durch die Stadt mit selbst verfassten Versen und manch historischer Anekdote. Kurzweilig führt er Sie entlang der Spree, durch die engen Gassen bis vor die Tore der Stadt.
Verweilt mit Ihnen zu einem Nachtwächter-Schnäpschen, um Unterstützung vom Singenden Gastwirt zu erhalten und vielleicht haben Sie Glück und treffen auf dem Rundgang sogar die „Lübbener Lausbuben“, die mit ihren Streichen den Nachtwächter ärgern. Auf den Mund gefallen ist der Nachtwächter keinesfalls, denn er verkündet mit spitzer Zunge aktuelle Ereignisse und nimmt manchen Missstand auf die Spitze seiner Hellebarde.
Er weiß von der Liebe ebenso zu erzählen, wie vom Leben im alten Lübben, trifft vielleicht Paul Gerhardt, den Kirchenlied-Dichter, und so manchen Nachtschwärmer.
Die Straße ist sein Schauplatz, ist sein Ort, wo er mit Leichtigkeit und Akribie Sie scheinbar durch das Mittelalter führt. Die Gäste sind dabei nicht nur sein Publikum, sondern werden gleichzeitig zu Akteuren in seinen Erzählungen und so manchen entlässt er mit der Gewissheit, so ist es nicht nur heute, sondern so war es schon immer.
Und so wird es wieder sein, wenn er zwischen Karfreitag und dem 02.Oktober um 21.30 Uhr seinen nächtlichen Hornesruf erschallen lässt, wenn es heißt (Tages)Licht aus – Lampe an!“
Die Lübbener Termine 2008 kann man auch in der Spreewald-Information auf der Schlossinsel in Lübben erfragen. Tel. 03546-3090; E-Mail: [email protected]
Neben stehendes Foto: Nachtwächter Frank Selbitz begrüßt mit kleinen Versen und Sprüchen die froh gestimmten Gäste
Weitere Fotos von dem Nachtwächter-Rundgang in Luckau und von der Stadt selbst demnächst hier unter „Bilder der Region“ (Dahme-Spreewald : Luckau).
Gerd Laeser
Lübbenau
Nachtrat Dietrich Kölling (li.) und Nachtwächter Frank Selbitz in der Südpromenade
Abendstimmung im Mönchshof mit Hausmannsturm im Hintergrund
Nachtwächter Selbitz und Nachtrat Kölling verabschieden von der Rathaustreppe aus ihre Gäste