Die Luchse kauern bewegungslos auf ihren Hinterpfoten.
Gewandte Räuber, pinselohrig, mit hellwachen Augen, denen keine Bewegung in und außerhalb ihres Gefängnisses entgeht.
Sie dulden keine Füchse und Wildkatzen in ihrem Revier, steht auf einer Schautafel am Käfig; ich bewundere die erbarmungslose Konsequenz gegenüber Feinden und Konkurrenten.
Raubtiere sind mitleidlos: Alte, Junge, fallen ihnen genauso zum Opfer wie Kranke und Schwache.
Der Mensch gleicht ihnen: nur seine Methoden sind in der Regel subtiler. Was unterscheidet einen Banker von einem Krokodil?
Einen Versicherungsagenten von einer Hyäne ……..?
Was mir für Gedanken durch den Kopf gehen, während ich neben Heiko zum Parcour stapfe. Heiko, der Hüne, der schon mal hier war und mit Ina auf die Idee kam, mir eine Klettertour zum Geburtstag zu schenken.
Nicht so ein profanes am Felsen rumhängen, wie in der sächsischen Schweiz, hier im Hochwald wird akrobatisch von Baum zu Baum gehangelt.
12 Parcours gibt es in Moritzburg : Eins bis Sechs für Anfänger und Kids, danach steigern sich die Schwierigkeiten bis zur Zwölf – wer schon mal beim Karatetraining war, weiß: Zwölf bedeutet voll auf die Nuss.
Heiko und ich sind gerüstet: mit Schutzhelm; Bergsteigergeschirr, Karabinerhaken und eine Art Metallklaue , die geschmeidig auf den Stahlseilen entlang schnurrt, und zusätzlich sichert; beide Haltevorrichtungen sind mit unserem Hüftgürtel verbunden.
Als A und O hat uns der Guid eingeschärft: immer einklinken! Nach einer Weile geht das in Fleisch und Blut über: die geriffelte Metallhülse runterdrücken, mit dem Daumen den Stift wegdrücken, Haken ins Seil einklinken – alles mit einer Hand – was sind wir für Kerle!
Die hoch gewachsenen Buchen sind mit mehreren Stahlseilen verbunden, meist zwei unten, zwei oben, in Schrittbreite auseinander schaukeln dazwischen Bohlen, Kanthölzer, eine Holztrommel, diverse Netze, ein Käfig, Trittangeln….
……die Jungs, die sich das ausdachten, hatten sicher Spass!
Wegen den ungewohnten kräftzerrenden Bewegungen, zittern nach einer Weile Arme und Beine: das kostet richtig Körner, keucht Heiko; ich nicke, schweißnass, unterm rotem Helm.
Im Dschungel hätten wir überhaupt keine Chance, würden durch Lianen und Blätter krachen wie ein toter Affe; leichte Beute von Leoparden, schwarzen Panthern und anderem Raubgetier..
Lass die traurigen Luchse in der kommenden Nacht frei, geht es mir durch den Kopf, auch beide Elche, die gehören da nicht hin. Man sind die groß, flüstert ein Mädchen, wie Fabelwesen.
Vorsicht, Sonne! schreit Heiko: auh verflucht!, beinahe wäre ich von der Tonne abgeglitten – wer so was in die Höhe hängt ? … Einmal wollte ich vor einer Freundin angeben und bin im Branitzer Park auf einem Stück Baumstamm rumgeturnt, habe ich mal im Zirkus gesehen …..der doofe Stamm kam aber ins Rollen, ich bin voll auf den Rücken geknallt, Wirbelsäule futsch dachte ich, adieu Pückler.
Wahrscheinlich hätte ich Sägespäne runterstreu’n sollen, bloß, was soll man noch alles mitschleppen, zum Rendezvous?
Heiko hat inzwischen den letzten Punkt unserer Hochseilakrobatik erreicht, ein Hochstand: hinsetzen, bedeutet ein Schild, abstoßen und dann springen. Heiko schaut nachdenklich in die Tiefe: wahrscheinlich ziehen Bilder vom Urlaub am Wolfgangsee, Nachtschichten im Tagebau und Gartenarbeit in der Sparte “Fleißige Hand” durch sein Gehirn. Er ist blass. Ich steh hinter ihm, guck gar nicht erst runter, wo unsere Mädels stehen und auf “den Sprung” warten. Ein paar Einheimische schlendern vorbei, witzeln auf sächsisch. Na wartet, ihr Banausen!
Ich lass mich fallen, und schwebe sanft, von den Gurten gehalten zu Boden.
Die Frauen klatschen. Ich sage zu den Sachsen: mein Kumpel ist Mathematiker, der löst gerade im Kopf ‘ne ganz schwierige Gleichung; die würdet ihr nicht mal mit ‘nem Taschenrechner rauskriegen.
Wie es scheint, hat Heiko die Lösung gefunden: das Seil strafft sich; geübt, wie ein Marines, gleitet mein Blutsbruder zu Boden. Haste das Problem gelöst , frage ich, Glückwunsch! Was? Heiko kriegt große Augen. Die Sachsen tun beleidigt.
Wir gehen zum Auto.
Ich schaue zum Luchskäfig. Die Pinselohren zucken, der Schweif wedelt, irgendwie sind die Tiere unruhig.
Ich muss heute abend och mal her, sage ich leise zu A., gibt noch was zu erledigen .
A. schaut mich an: lass dich bloß nicht erwischen und zieh deine Schweißerhandschuhe, die Viecher beißen, weißt ja noch wie die Adler in Kromlau gehackt haben.
In Kromlau haben wir bei einem Jagdhornblasen Greifvögel losgebunden, die an einer 30 cm langen Leine mitten auf einer Wiese, in glühender Sonnenhitze ausharren mussten, ohne Futter, ohne Trinken. Das war ein Fluchen und Toben, als die Kräuterschnaps trinkenden Freiluftmusikanten begriffen, wer da krächzend über ihren Köpfen, in den nahen Wald abhaute. Zum Glück hatte keiner der beduselten Waldläufer eine Flinte mit.
Es wir dunkel, der Mann im Radio sagt: an diesem Wochenende wird Spanien bestimmt unter den Rettungsschirm schlüpfen – ich zieh die Handschuhe an – Polen hat die EM – Eröffnung verpatzt.
Ich heiße nicht Don Quichote, auch nicht Robert Lewandowski: bin auch kein Held, kann nur nicht zusehen, wenn anderen Geschöpfen Leid zugefügt wird, so einfach ist das.
Danke, Freunde für den schönen Ausflug und das liebevoll zubereitete Essen, mit Euch fahren wir gern weg …..