43, geschieden, Friseurmeisterin, verzweifelt, dass mich Gott verlassen hat. Ich schaue in den Spiegel, denke: tolle Bilanz!
… es fing alles ganz harmlos an: meine Hausärztin schickt mich zur Computer-Tomographie, weil sie irgendwas gefühlt hat … wiegelte noch ab: muss nichts Ernstes sein, Frau K …. aber sicher ist sicher….
Warum nicht? … rein in die Röhre, denke ich: du hast nie was gehabt, deine Eltern auch nicht; also, was soll’s ….
Gehe völlig entspannt zur Befundbesprechung. Die Ärztin blättert in den Unterlagen, verzieht kein Gesicht, sagt: Frau K., wir haben eine bösartige Geschwulst in der linken Brust gefunden.
… bevor wir die Brust abnehmen, schlage ich als letzte Chance eine Chemo-Theraphie vor …
Sie bekommen Ekzeme – überall! …eventuell werden Sie Nägel, garantiert aber die Haare verlieren … hier steht, Sie arbeiten als Frisöse …
…. dann wissen sie ja über Perücken Bescheid; … je eher wir mit der Chemo beginnen, desto besser.
… im Krankenhaus haben die mich behandelt wie Dreck, dabei bin ich Privatpatientin und zahle horrende Beiträge; doch wenn du Krebs hast, bist du Abschaum ….
Wissen Sie, ohne Arbeit kann ich nicht leben: also gehe ich jeden Tag, trotz Schmerzen, in den Salon .. föhne, färbe, schneide anderen Leuten die Haare, obwohl die Eigenen ausgegangen sind, … offene Wunden quälen mich; nachts kann ich nicht schlafen …
Es läutet, die nächste Kundin kommt, ein Glück!
Ich massier’ ihre Kopfhaut, die meisten nicken dann weg – gut so; ich kann die Neugier nicht mehr ertragen, die mich abtastet, Antwort sucht, warum ich nicht mehr ich selbst bin.
Ich bedecke mein Gesicht.
Jetzt auf dem Rücken liegen, Geschichten in den Wolken lesen … wie war das bloß früher, so ohne Schmerzen?
43, geschieden, Friseurmeisterin, lieber Gott, verlass mich nicht, bitte!